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WELTORDNUNG   und   WELTWIRTSCHAFT


Michel Chossudovsky, Global Brutal - Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg


Michel Hudson, Macht durch Geld und Bankrott


David A. Stockman, Ein Schlag gegen Europa - Der Kriegseintritt der USA 1917


Paul Krugman, Die neue Weltwirtschaftskrise


Joseph E. Stiglitz und Andrew Charlton, Fair Trade


Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert


Eine kurze Geschichte der Entstehung des Internationalen Währungsfond in Bretton Woods - sowie zum Ende von Bretton Woods





Das Ende des demokratischen Rechtsstaates -
Die Essenz des Kapitalismus in den Hedgefonds -
Die neue Verzagtheit der Angeln und Sachsen -
Angriff aus
Bretton Woods -
Globale Strategien - Die neue Weltordnung:

Michel Chossudovsky, Global Brutal - Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg


... Studien der Weltbank .... Diese kommen zu dem Ergebnis, dass ``der Mangel an wirtschaftlichen Chancen und der sich hierdurch ergebende Wettbewerb um knappe Ressourcen - und nicht so sehr ethnische, politische oder ideologische Gegensätze - Ursache für die meisten bewaffneten Auseinandersetzungen der vergangenen 30 Jahre sind''
James Wolfensohn, seit Juni 1975 Präsident der Weltbank, in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Capital, Heft 20/2004


Die WTO-Vereinbarungen stehen nicht nur im Widerspruch zu gültigem nationalen und internationalen Recht, sonder auch zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948: Wer die WTO als legitime Organisation ansieht, plädiert praktisch dafür, die Menschenrechtserklärung der UNO auf unbestimmte Zeit auszusetzen bzw. aufzuheben.
Die Regeln der WTO verletzen nicht nur in eklatanter Weise internationales Recht, sie legitimieren auch Handelspraktiken, die an kriminelle Handlugen grenzen, einschließlich des Raubs geistigen Eigentums durch multinationale Konzerne ....
Die Erfahrungen Somalias zeigen, dass Hunger im späten 20. Jahrhundert keine Konsequenz von Nahrungsmittelknappheit ist. Im Gegenteil, Hungersnöte werden durch das globale Überangebot von Getreide ausgelöst. Seit den 80er Jahren ist der Getreidemarkt unter Aufsicht der Weltbank dereguliert, sind die US-Getreideüberschüsse systematisch eingesetzt worden, um die Bauern zu ruinieren und die nationale Nahrungsmittelproduktion zu destabilisieren, die unter diesen Umständen viel verwundbarer gegenüber den Wechselfällen von Dürren und Umweltkrisen wird.

[`DIE ZEIT' vom 11dec03 schreibt unter dem Titel `Der Sieg der Technokraten - Globalisierung in der Krise - wie die EU den Welthandel lähmt': Als die WTO im Jahre 1994 gegründet wurde, lag ihr ein klarer Deal zugrunde: Der Süden stimmte den Freihandelsabkommen über Dienstleistungen, geistiges Eigentum und Invenstitionsregeln zu - damit der Norden im Gegenzug seine Märkte für Agrarprodukte und Textilien öffne. Ersteres wurde eifrig umgesetzt. Es entstanden komplexe Verträge, die den meisten armen Staaten nicht nur nichts nützen, sondern sie sogar teuer zu stehen kommen könnten: Allein die Verwaltung für das Patentabkommen TRIPS kann ein durchschnittliches Entwicklungsland rund 150 Millionen Dollar kosten.
Letzteres aber blieb aus. Geht es um den Verkauf von Kleidungsstücken oder landwirtschaftlichen Produkten, unternehmen die vermeintlichen Freihändler diesseits und jenseits des Nordatlantiks alles, um die Entwicklungsländer klein zu halten. Diese empfinden deshalb ihren Widerstand nicht als Revolte, sondern als Kampf um die fehlende Balance ]


Die globale Finanzkrise

Bis 1995 hatte der tägliche umsatz an den devisenmärkten mit seinen 1300 Mrd. dollar die offiziellen weltdevisenreserven von geschätzten 1202 Mrd. dollar übertroffen. Im klartext: institutionelle spekulanten verfügen bei weitem über größere devisenbestände als die zentralbanken mit ihren beschränkten möglichkeiten. Ob diese nun einzeln oder gemeinsam handeln - sie sind nicht in der lage, die spekulationsflut einzudämmen ....
Land für land fällt an die Wall Street.
Statt die finanzmärkte nach dem sturm zu zähmen, hat Washington ein gesetz durch den senat gebracht, das die macht der großen finanzdienstleister und der ihnen angeschlossenen hedgefonds beträchtlich erhöht. Mit dem im November 1999 (kaum eine woche vor der historischen WTO-konferenz in Seattle) verabschiedeten Financial Modernization Act hat der US-gesetzgeber die bahn für eine umfassende deregulierung des US-bankensystems freigemacht.
Nach langen verhandlungen sind alle beschränkungen, denen die mächtigen Wall-Street-banken bislang unterlagen, mit einem federstrich zurückgenommen worden. Die neuen regeln - vom US-senat ratifiziert und von präsident Clinton gebilligt - stellen es den geschäftsbanken, investmentfirmen, hedgefonds, institutionellen anlegern, pensionsfonds und versicherungsgesellschaften völlig frei, sich mit wechselseitigen kapitalbeteiligungen zu verflechten und jeweils die ganze bandbreite der finanzgeschäfte abzudecken.
Damit ist das Glass-Steagall-gesetz von 1933 ausser kraft gesetzt, eine säule der new-deal-politik von Franklin D. Roosevelt, das in reaktion auf den sumpf aus korruption, finanzmanipulationen und insider-handel erlassen worden war, in dem nach dem Wall-Street-crash von 1929 über 5000 banken versunken waren. Die kontrolle der gesamten finanzdienstleistungsindustrie der USA einschliesslich versicherungsgesellschaften, pensionsfonds und investmenthäusern ist damit effektiv auf eine hand voll finanzkonzerne übergegangen - die zugleich gläubiger und anteilseigner von hightech-unternehmen, rüstungsfirmen, großen öl- und bergbaukonzernen usw. sind. Darüber hinaus können nun die finanzgiganten als anleihegaranten der öffentlichen schulden von bund, bundesstaaten und kommunen die politiker noch stärker in ihren würgegriff nehmen und ihren dominierenden einfluss auf die öffentliche politik verstärken.
Im zentrum dieses globalen ``superfinanzmarktes'' stehen unangefochten die Wall-Street-giganten, die sich nicht nur ihre unmittelbaren konkurrenten vom halse halten und maßgeblichen einfluss auf die realökonomie ausüben, sondern auch tiefe breschen in die bastionen der notenbank schlagen können. Denn deren aufsichtsmacht ist durch den Financial Modernization Act beträchtlich geschwächt worden. Der neue rechtliche rahmen erlaubt es den finanzriesen tatsächlich, unter umgehung der notenbank und in stillschweigendem einverständnis untereinander, die zinsen nach ihrem belieben festzusetzen.
Eine neue ära der rivalität auf den finanzmärkten ist angebrochen. Dem amerikanischen finanzkapital geht es in seiner Neuen Weltordnung letztlich darum, konkurrierende europäische und japanische bankkonzerne aus dem feld zu schlagen und bestenfalls mit einem exklusiven club deutscher und britischer bankgiganten strategische allianzen zu schließen
....



Der Wirtschaftskrieg


Spekulative angriffe durch die manipulation der marktkräfte.
Der weltweite wettlauf um die aneignung von reichtum durch finanzmanipulationen ist die treibende kraft der krise. Es ist auch die quelle aller wirtschaftlichen verwerfungen und des sozialen elends. Die manipulation der marktkräfte durch mächtige finanzakteure ist eine form des finanz- und wirtschaftskriegs. Verlorene territorien müssen nicht rekolonialisiert oder durch armeen zurückerobert werden
....
Die aneignung globalen reichtums durch marktmanipulation wird regelmässig von den tödlichen wirtschaftspolitischen interventionen des IWF [Internationaler WährungsFonds] gefördert, die die volkswirtschaften auf der ganzen welt beinahe gleichzeitig erbarmungslos schwächen. Der finanzkrieg kennt keine grenzen; er beschränkt sich nicht darauf, die ehemaligen feinde des kalten krieges zu belagern
....
In vieler hinsicht markiert die weltweite krise das ende der zentralbanken. Die nationale souveränität über die wirtschaft und das vermögen der nationalstaaten, die geldschöpfung zum wohle der gesellschaft zu kontrollieren, sind geschwächt. Die privaten devisenreserven in den händen institutioneller spekulanten übersteigen die beschränkten fähigkeiten der zentralbanken weltweit. Diese sind, ob sie einzeln handeln oder sich konzentriert zusammentun, nicht mehr in der lage, sich gegen die welle spekulativer angriffe zu stemmen. Die geldpolitik liegt in den händen privater gläubiger, die in der lage sind, staatliche haushalte einzufrieren, die reguläre auszahlung von löhnen an millionen von staatsbediensteten zu vereiteln (wie in der ehemaligen Sowjetunion geschehen) und den zusammenbruch von produktion und sozialprogrammen herbeizuführen
....
Die plünderung der zentralbankreserven beschränkt sich jedoch keineswegs auf die entwicklungsländer. Sie hat auch mehrere westliche länder getroffen, so Kanada und Australien, wo es den notenbanken nicht gelungen ist, den verfall ihrer nationalen währungen aufzuhalten
[Nobelpreisträger (2001) Joseph E. Stiglitz (USA) im November 2008 zur Finanz- und Wirtschaftskrise: .... Die aktuelle globale Finanzstruktur ist nicht nur mangelhaft, sie ist auch ungerecht, insbesondere gegenüber den Entwicklungsländern. Sie gehören zu den unschuldigen Opfern dieser weltweiten Krise, die von den USA geschaffen wurde. Selbst Länder, die alles richtig machten - ihre Wirtschaft besser regulierten und makroökonomische Vorsicht walten ließen - werden von den Fehlern der Vereinigten Staaten in Mitleidenschaft gezogen.
Noch schlimmer ist, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) in der Vergangenheit prozyklische Maßnahmen (etwa die Anhebung von Zinssätzen und Steuern und die Ausgabendeckelung in einer Rezession) verlangte, während Europa und die USA genau gegenteilig agierten, nämlich antizyklische Maßnahmen vornahmen. Das führt dazu, dass im Krisenfall das Kapital der Entwicklungsländer abfließt - ein Teufelskreis beginnt. ]

....
Die großen spieler sind Goldman Sachs, Morgan Stanley, Deutsche Morgan Greenfell und andere. Sie kaufen Japans faule kredite zu einem zehntel ihres nominalwertes auf.
Direkt nach der Asienkrise 1997 übte Washington politischen druck auf Tokio aus und bestand auf ``nichts weniger als auf der sofortigen abstossung der faulen kredite zu schleuderpreisen - vorzugsweise an US-amerikanische und andere ausländische `geierinvestoren'. Um ihre ziele zu erreichen, üben sie sogar druck auf Japan aus, seine verfassung zu ändern, sein politisches system und sein kabinett umzubilden und sein finanzsystem neu zu gestalten ... Sobald ausländische investoren die kontrolle über japanische banken erringen, werden diese banken damit beginnen, die japanische industrie zu übernehmen.'' (Michael Hudson, ``Big Bang Is Culprit Behind Yen's Fall'', in: Our World, No 187, 28jul1998)
[Note by menkaura: Geistig ist die Übernahme vollzogen, cf `Capital' 26/2002 p20:
Von den weltweiten devisenreserven lauten nur 13 prozent auf euro - nicht mehr als 1998 auf die mark ....
Auf dem europäischen bankenkongress ende November in Frankfurt legte sich in diesem sinne Dresdner-Bank-chef Bernd Fahrholz ins Zeug. Er machte reklame bei Yutataka Yamaguchi und Hng Kiang Lim - den präsidenten der notenbanken von Japan und Singapur. Sie sollten doch das ``potenzial'' der neuen währung sehen, warb Fahrholz: ``Wenn Sie nur ein wenig von ihren reserven in den euro umlenken würden.'' Die asiaten blieben kühl: was dem Euro im vergleich zum Greenback fehlt, sezierte Yamaguchi schonungslos, ``ist die dahinter stehende militärmacht.''

Nachtrag August 2007: Die zukunft des Dollar dürfte weniger von der rolle Chinas abhängen als von der nicht nur den USA zunehmend aufdämmernden erkenntnis, dass die welt nicht wirklich durch militärische stärke zu be-greifen ist. Und da sich die militärmacht USA komplett fremdfinanziert (leistungsbilanzdefizit in etwa = den militärausgaben) wird die argumentation Yamaguchis, s.o., mehr und mehr an wahrheitsgehalt verlieren. Daran und am wertverlust des Dollar werden auch steigende zinsversprechen der USA und das über den vorwurf der unterstützung von schurkenstaaten laufende hinausdrängen europäischer finanzinstitute und firmen aus bestimmten (finanz)märkten zugunsten US-dominierter unternehmen nichts ändern.
Inzwischen ist der Anteil des Euro an den weltweiten devisenreserven laut `Der SPIEGEL' 31/2007 von 16.3 % in 2000 auf 25.8 % in 2007 gestiegen. Reiche ölstaaten und Russland legen die erlöse aus dem rohstoffexport mehr und mehr im Euro-raum an. Immer mehr regierungen koppeln ihre währung an den Euro. China hat 2005 seine bindung an den Dollar aufgegeben und den Yuan an einen stark Euro-lastigen währungskorb gekoppelt. Kuweit orientiert sich seit Mai 2007 am Euro. Russland erhöhte den anteil des Euro im Währungskorb von 35 auf 45 %.
Nicht zu vergessen, dass Saddam Hüseyyin eine zeit vor der US-invasion des Irak die umstellung der ölgeschäfte vom Dollar auf den Euro angekündigt hatte.
siehe auch hier


Interessant hier auch der bericht über eine ländliche revolution des geldwesens in Wörgl /Österreich im jahre 1932, als die ortschaftsverwaltung unter leitung des sozialdemokraten Michael Unterguggenberger ohne rückendeckung durch die ``Obermarxisten'' in Wien den kampf gegen deflation und arbeitslosigkeit, und damit auch gegen nationalbank und regierung, aufnimmt und einer idee des deutsch-argentiniers Silvio Gesell (begründer der ``Freiwirtschaftslehre'') folgend das ``Freigeld'' einführt, mit inhärenter inflationsrate. In den 13.5 versuchsmonaten hatten etwa 100 arbeitslose ein neues auskommen gefunden, die zahl der arbeitslosen ging in Wörgel um 16% zurück, während sie in Österreich um 19% anstieg. Während jeder Schilling der nationalbank 8.55 Schilling umsetzte, waren es beim freigeld mehr als 82.
Der französiche ministerpräsident kommt, auch abgesandte des US-chefökonomen Irving Fisher, das projekt erlangt weltruhm. Der österreichische staat beendet die gelebte vision.
``Der Staat braucht nicht borgen, wie Wörgels Bürgermeister nachwies, der Milch ausfuhr und dessen Frau Hemden und Lederhosen verkaufte und auf dessen Bücherbord Henry Fords Leben stand und eine Ausgabe der `Göttlichen Komödie' und die Gedichte von Heine.
Ein nettes Städtchen im Tirolerland, in einer flachen Talsohle gelegen, nicht weit von Innsbruck, und als ein Schein der Kleinstadt Wörgl über die Theke wanderte in Innsbruck und der Bankier es wahrnahm, geriet der Geldklüngel Europas aus dem Häuschen. `Keiner', sprach die Frau Bürgermeister, `in diesem Dorf, der einen Artikel schreiben konnte. Wussten, dass es Geld war, doch gaben vor, es sei keins, um sicherzugehen vor dem Gesetz.' ....
Steuern sind nicht mehr vonnöten im alten Sinn, wenn es (das Geld) durch geleistete Arbeit gedeckt ist innerhalb eines Systems, nach Maß und Bedarf der Menschen innerhalb von Nationen oder System und entwertet im Maßstab von Gebrauch und Verbrauch a la Wörgl ....''
Ezra Pound, `Pisaner Gesänge', Canto LXXVIII
Aus dem wirtschaftsmagazin `brand eins' 09/nov2003
]

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Die banken, bei denen der staat schulden aufnimmt, um die stützungsaktionen zu finanzieren, mit denen er einem opfer beistehen will, haben nicht nur bereits die beute unter sich aufgeteilt, sondern bereichern sich jetzt auch noch an dem versuch, ihnen - den banken - diese beute wieder zu entreissen .... Die sechs großen geschäftsbanken der Wall Street, darunter Chase Manhattan, Bank America, Citigroup und J.P. Morgan, sowie die großen handelsbanken - Goldman Sachs, Lehman Brothers, Morgan Stanley und Salomon Smith Barney - sind bereits bei den beratungen über die klauseln der asiatischen stützungsaktionen zu rate gezogen worden. In grausamer ironie kontrollieren spekulanten, nicht etwa gewählte politiker, das krisenmanagement; in absurder logik laden die G7-finanzminister jene spekulanten, die die finanzturbulenzen auslösen, dazu ein, strategien zur entschärfung von turbulenzen auf den finanzmärkten zu entwickeln.
Obwohl theoretisch auf finanzielle stabilität verpflichtet, geht es den banken in wirklichkeit um den zusammenbruch der nationalen währungen
[Note by menkaura: und nicht nur darum, wie ein Artikel der Südwestpresse / Schwäbisches Tagblatt vom 13oct06 unter dem titel `USA / Amerikaner trauen dem Ölmarkt nicht - Niedrige Spritpreise bis zur Wahl?' verdeutlicht: die rechtzeitig zur wahl fallenden weltmarktpreise für rohöl werden von analysten u.a. mit dem erstmals im sommer 2006 nicht erfolgten aufstocken der 690 millionen barrel umfassenden Strategic Petroleum Reserve (SPR) der bundesregierung in zusammenhang gebracht, und: `zu den handfestesten Theorien zählt zweifellos der Beitrag, den das Investmentunternehmen Goldman und Sachs, an dessen Spitze bis zuletzt Bushs neuer finanzminister Hank Paulson stand, zu der Preisentwicklung beitrug. So wurde in dem wichtigen Goldman-Sachs-Index, von dem nach Expertenangaben mehr als 60 Milliarden Dollar an Rohstoffinvestitionen abhängen, gerade im August der Anteil des Rohöls und unverbleiten Benzins deutlich zurückgefahren. Zudem haben Fondsmanager der Investmentfirma während der vergangenen Monate den Anteil der Ölinvestitionen in ihrem Energiefonds erheblich gesenkt. ,,Das Verhalten von Goldman Sachs hat einen ganz entscheidenden Beitrag zum Preisrückgang geleistet", ist Analyst Doug Leggate überzeugt.'
Bereits zur wahl 2004 gab es vergleichbare vorgänge: `Führende US-Medien berichteten unter Berufung auf Regierungsquellen, dass der saudi-arabische Botschafter in den USA dem weißen Haus versprochen habe, sich innerhalb der OPEC bis zur Wahl für hohe Fördermengen und niedrige Preise einzusetzen.' ]
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Als `interessengemeinschaft reicher investoren' bezeichnet, wurden die hedgefonds vom finanzestablishment geschaffen, um den interessen von banken, unternehmen und reichen einzelpersonen zu dienen. Sie sind zu einem integralen bestandteil der strukturen von investmentbanken geworden und verfügen über ein ausgewiesenes grundkapital von etwa 300 Mrd dollar
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Die umstrukturierung der globalen finanzmärkte und finanzinstitutionen hat - zusammen mit der plünderung der volkswirtschaften - die anhäufung von riesigen mengen privaten reichtums ermöglicht. Ein großer teil davon verdankt sich rein spekulativen transaktionen. Es besteht keine notwendigkeit mehr, güter zu produzieren: bereicherung findet zunehmend ausserhalb der realen wirtschaft, jenseits echter wirtschaftstätigkeit in produktion und handel statt. 1996 waren ``erfolge am aktienmarkt der Wall Street'', also spekulationsgewinne, ``hauptverantwortlich für die exorbitante zunahme von milliardären.'' (Charles Laurence, ``Wall Street Warriors Force Their Way Into the Billionaires Club'', in: Daily Telegraph, 30sep1997) [s.o. Fredmund Malik - Schöne neue Wirtschaft]
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[Inzwischen ist nicht einmal mehr eigene forschung nötig, es reicht im zeitalter der deregulierten märkte aus, genügend kapital aufzubringen: Nach einer meldung der `ZEIT' vom 11dec03 unter dem Titel `Ausverkauf des Wissens - Wie deutsche Spitzentechnik systematisch verscherbelt wird' wurde der weltweit führende erbauer nicht-atomarer U-boote, die HDW (Howaldtswerke-Deutsche Werft), endlos gefördert aus steuermitteln, 2002 von der US-finanzinvestorengruppe OEP gekauft, das (geheime) wissen somit von den Bush-kriegern übernommen. Ebenso das schicksal des deutschen triebwerksherstellers MTU (Tornado, Eurofighter, A400M militärtransporter): staatlich stark gefördert, von DaimlerChrysler 2003 an die US-investorengruppe KKR verkauft. Oder der spanische lizenznehmer für den panzer Leopard 2: an Amerikaner verkauft. ``Wehrexperten wissen: Die Kooperation mit Uncle Sam ist eine Einbahnstraße, nur nach Westen offen.'' ]



Der brasilianische Finanzbetrug


Die vom IWF finanzierte operation diente weitgehend dazu, spekulanten in ihren tödlichen überfällen zu bestärken. Wenn das geld des IWF-vorsorgefonds erst eingetroffen ist und die spekulanten das wissen, würde im fall einer devisenknappheit der brasilianischen zentralbank die verfügbarkeit dieses geldes banken, hedgefonds und institutionelle investoren in die lage versetzen, rasch eine milliardenschwere beute abzukassieren. Das im November unterzeichnete IWF-programm trug daher dazu bei, das risiko solcher angriffe zu reduzieren und die spekulanten zu ``beruhigen''.
Das timing der abwertung war teil der IWF-list: indem sie in den zwei monaten nach der IWF-vereinbarung (13. November 1998) einen stabilen wechselkurs sicherstellte, erlaubt sie den spekulanten, rasch 20 Mrd. dollar einzustreichen
....
[aus
http://www.unister.de/lexikon/index.html 06apr04
.... Ob ungeachtet der genannten einzelwirtschaftlichen Vorteile der IWF als weltwirtschaftlich oder auch nur volkswirtschaftlich vorteilhafte Institution angesehen werden kann, oder ob es sich um ein Instrument der Projektemacherei handelt, das Einzelwirtschaftern auf Kosten der Allgemeinheit Einkommen verschafft, ohne dafür nachvollziehbar Nützliches für die Volks- oder Weltwirtschaft zu leisten, ist zumindest diskussionswürdig. Bei alle dem darf nicht in den Fehler verfallen werden, die internationalen Währungsbeziehungen am Modell aus dem neoklassischen Lehrbuch zu messen. Aus dieser Sicht muss es schier unverständlich sein, dass es Bedarf an einer Behörde diesen Ausmaßes geben könnte, um ausgeglichene Zahlungsbilanzen zwischen den Wirtschaftsräumen mit unterschiedlichen Währungen zu erzeugen. Ein Gleichgewicht würde sich selbstredend auch ohne diese aufwendigen Aktivitäten einstellen müssen. Die Erfahrungen der Zwischenkriegszeit haben Europa und die Vereinigten Staaten jedoch auch Lehren erteilt. Die freie Konkurrenz der Währungen bringt die erwarteten günstigen Ergebnisse nur dann hervor, wenn alle Teilnehmer an der Weltwirtschaft die Spielregeln achten.
Vom Bruch der Spielregeln erhoffen sich aber einzelne Währungsräume immer wieder Vorteile, und es hilft wenig, wenn die Lehrbücher die langfristige Berechtigung zu dieser Erwartung bestreiten. Wo aber einer die Regeln bricht, werden die vielen unkoordiniert agierenden Währungsbehörden und Finanzautoritäten kaum anders als ihrerseits die Regel verletzend antworten können.
Wenn es dem IWF gelänge, zum Beispiel ein Chaos des Abwertungswettlaufes zu unterbinden, in dem die Weltwirtschaft am Ende der 20er Jahre zerbrach, so wäre dies eine ihre Berechtigung sichernde Aufgabe. Auf die Eigenwilligkeiten der US-Währungspolitik scheint der Fonds allerdings bisher keine sehr disziplinierende Wirkung gehabt zu haben. Die Hoffnung, er könnte den Ausbruch einer verschärften Währungskonkurrenz unter den Dollarverfolgern und die damit sicher verbundenen Turbulenzen vermeiden, ist somit nicht sehr realistisch. ]




Wer stand hinter den Terrorattacken


Interview mit Zbigniew Brzezinski, dem damaligen Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter

Brzezinski: Der offiziellen Geschichtsschreibung zufolge begann die CIA 1980, d.h., nachdem die Sowjetarmee am 24. Dezember 1979 in Afghanistan einmarschiert war, die Mudschaheddin zu unterstützen. Aber die Realität, die bis heute streng geheim gehalten wird, ist eine ganz andere. Tatsächlich war es der 3. Juli 1979, an dem Präsident Carter die erste Direktive unterschrieb, den Gegnern des prosowjetischen Regimes in Kabul verdeckt beizustehen. Am selben Tag teilte ich dem Präsidenten in einer kurzen Notiz mit, dass diese Hilfe meiner Meinung nach die Sowjets zu einer militärischen Intervention veranlassen würde.
Frage: Trotz dieses Risikos waren Sie für die verdeckte Aktion. Aber vielleicht wollten Sie ja selbst diesen sowjetischen Eintritt in den Krieg und haben versucht, ihn zu provozieren?
Brzezinski: Nicht ganz. Wir trieben die Russen nicht zu einer Intervention, aber es war uns bewusst, dass wir die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhten.
Frage: Als die Sowjets ihre Intervention damit rechtfertigten, dass sie gegen eine geheime Einmischung der USA in Afghanistan vorgehen wollten, glaubte man ihnen nicht. Daran war jedoch etwas Wahres. Sie bedauern heute nichts?
Brzezinski: Was soll ich bedauern? Die Geheimoperation war eine hervorragende Idee. Sie hatte den Effekt, die Russen in die afghanische Falle zu locken, und Sie möchten, dass ich das bedauere? An dem Tag, als die Sowjets offiziell die Grenze überschritten, schrieb ich Präsident Carter: `Wir haben jetzt die Gelegenheit, der UdSSR ihr Vietnam zu verschaffen.' Tatsächlich musste Moskau fast zehn Jahre lang einen für die Regierung unhaltbaren Krieg führen, ein Konflikt, der zur Demoralisierung und schließlich zum Zusammenbruch des Sowjetreiches führte.
Frage: Und Sie bereuen auch nicht, dass Sie den islamischen Fundamentalismus unterstützten, indem sie künftigen Terroristen Waffen und Beratung gaben?
Brzezinski: Was ist wichtiger für die Weltgeschichte? Die Taliban oder der Zusammenbruch des Sowjetreiches? Ein paar aufständische Muslime oder die Befreiung Zentraleuropas und das Ende des Kalten Krieges?

Wie Brzezinskis Darstellung bestätigt, war es die CIA, die ein militantes islamistisches Netzwerk schuf. Der islamische Dschihad wurde zum integralen Bestandteil der geheimen CIA-Strategie - finanziert aus Mitteln, die zu guten Teilen aus dem Drogenhandel des Drogendreiecks stammten
Interview aus ``The CIA's Intervention in Afghanistan. Interview with Zbigniew Brzezinski, President Jimmy Carters National Security Adviser'' in: Le Nouvel Observateur, 15.-21. Januar 1998, wiederveröffentlicht vom Centre for Research on Globalization unter www.globalresearch.ca/articles/BRZ110A.html
....
Nach dem ende des kalten krieges war Zentralasien nicht nur aufgrund seiner reichen ölreserven von strategischer bedeutung, sondern auch deshalb, weil Afghanistan 75 prozent des weltweit angebotenen heroins produzierte, was wirtschaftssyndikaten, finanzorganisationen, geheimdiensten und dem organisierten verbrechen milliardengewinne sicherte
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Pakistans wohlbestückter geheimdienstapparat wurde nach dem kalten krieg nicht abgebaut. Die CIA unterstützte von Pakistan aus weiter den islamischen dschihad. Man begann mit neuen geheimoperationen in Zentralasien, dem Kaukasus und auf dem Balkan. Der ISI [pakistanischer Geheimdienst] ``diente als katalysator für die auflösung der Sowjetunion und die entstehung von sechs neuen muslimischen republiken in Zentralasien''. (International Press Services, 22aug1995)
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Die verborgenen Ziele des Krieges

Das zusammenrücken von London und Washington und das enge verhältnis zwischen dem britischen premierminister und dem amerikanischen präsidenten decken sich mit der integration britischer und amerikanischer geschäftsinteressen in den bereichen des bankwesens und der öl- und verteidigungsindustrie. So fusionierte BP mit der amerikanischen ölgesellschaft Amoco zum größten ölkonzern der welt, und nach dem Jugoslawienkrieg von 1999 wurde der britische rüstungsgigant British Aerospace Systems voll in die US-amerikanische waffenbeschaffung einbezogen
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Einem BBC-bericht zufolge, der kurz nach den angriffen des 11. September veröffentlicht wurde, ``erklärten bereits mitte Juli 2001, während des treffens einer UN-kontaktgruppe, die afghanische belange verhandelte, hochrangige US-vertreter dem ehemaligen pakistanischen aussenminister Niaz Naik, ``dass mitte Oktober (2001) militärische aktionen gegen Afghanistan vorgesehen seien ....''''
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Einen monat zuvor, am 19. März 1999, also fünf tage vor dem beginn der bombardierung Jugoslawiens, hatte der US-kongress das so genannte Seidenstraßengesetz (Silk Road Strategy Act) verabschiedet, das die umfassenden wirtschaftlichen und strategischen interessen der USA in einer riesigen region definiert, die sich vom Mittelmeer bis nach Zentralasien erstreckt. Die seidenstraßenstrategie umreisst den ausbau des amerikanischen wirtschaftsimperiums in einem breiten geografischen korridor:
``.... Heute liegt unser augenmerk auf den interessen eines neuen mitstreiters in diesem spiel: die USA. Die fünf ehemaligen sowjetrepubliken, aus denen Zentralasien besteht - Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan -, sind begierig darauf, beziehungen zu den USA aufzubauen. Kasachstan und Turkmenistan besitzen große öl- und gasreserven in und um das Kaspische Meer, die sie dringend ausbeuten wollen. Usbekistan hat öl- und gasvorkommen ....'' (US Congress, Transcript of the House of Representatives, HR 1152, 19. März 2001)
....
Aber Russland hat den USA die genehmigung verweigert, diese durch russische pipelines zu befördern, und Iran gilt als gefährliche route. Blieb nur Afghanistan
....
Es geht um viel: Kasachstan allein soll über ölvorkommen verfügen, die ``so groß sind, dass sie selbst die Nordseeölreserven übertreffen''. (Richard Giragosian, ``Massive Kashagan Oil Strike Renews Geopolitical Offensive in Caspian'', in: The Analyst, 7. Juni 2000)
Dem konkurrierenden europäischen konsortium jedoch fehlt ein bedeutsamer anteil an den wichtigsten pipelinerouten aus der kaspischen region über das Schwarze Meer und den Balkan nach Westeuropa. Der entscheidende korridor ist in den händen der britisch-amerikanischen rivalen.
Total-Fina-Elf hat in partnerschaft mit ENI große investitionen im Iran getätigt und zusammen mit der russischen Gazprom und der malaysischen Petronas ein joint venture mit der National Iranian Oil Company gegründet. Washington versuchte mehrfach diesen französischen handel mit Teheran zu verhindern, da er einen offenen bruch der sanktionen gegen Iran und Libyen darstellt. Das alles legt nahe, dass sich Europas große ölkonzerne mit ihren eher kooperativen strategien potentiell auf konfliktkurs mit den britisch-amerikanischen konzernen befinden, die es offenkundig darauf anlegen, die russischen gesellschaften wie Lukoil und Rosneft schließlich zu übernehmen, Russland vom Kaspischen Becken abzuschneiden und sich bei alldem die kontinentaleuropäischen konkurrenten vom hals zu halten.
Deshalb richtet sich die militarisierung des eurasischen korridors als integraler bestandteil der US-aussenpolitik nicht nur direkt gegen Russland, sondern auch gegen die konkurrierenden europäischen ölinteressen jenseits des Kaukasus und in Zentralasien
....

[ Bush interessiert sich nicht für die Welt (s.u. Haslett), sondern für die amerikanische Kontrolle über die Welt. Amerika will die Welt nicht besetzen oder besiedeln. Amerika will die Welt in den nächsten hundert Jahren dominieren. Und die Sorge der Konservativen ist China. China hat das Potential, die USA in dreißig oder vierzig Jahren abzulösen. Unsere Konservativen haben Angst vor China - und sie wollen den Chinesen die Angst vor uns einbleuen. Also: zeig ihnen Deine Stärke ... vernichten wir einfach mal ein Land! Das ist Bushs Botschaft an die Welt.
    So der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer, zitiert nach Peter Scholl-Latour, Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?, Chronik eines unbegrenzten Krieges, Propyläen, 2002, 6. Auflage 2003, p487

Hätten die Gefährten Ibrahim Begs fünfzig Jahre später im Grenzgebiet Afghanistans gegend die sowjetische Invasionsarmee gekämpft, würde man sie im Orient als Mudschahidin, im Westen als Freiheitskämpfer gerühmt haben. Heute werden ähnliche `Gotteskrieger', die sich in Usbekistan unter Führung Juma Namanganis der Diktatur Islam Karimows entgegenstemmen, in die weltweite Gespensterarmee heimtückischer `Terroristen' eingereiht
    ebenda, p396

Und so führt Amerika den Krieg gegen den Terror. Von ihm sagte Zbigniew Brzezinski, der nationaler Sicherheitsberater unter Jimmy Carter war, das sei so, als hätten die Alliierten 1939 dem Blitzkrieg und nicht Hitler den Krieg erklärt. Er fügte hinzu, Terror sei ein Mittel, kein Subjekt, das sich bekämpfen lasse
....
Der Krieg gegen den Terror sollte die außenpolitische Konsequenz aus 9/11 sein. Er gründet auf der Angst vor Wiederholung, doch mit Angst lassen sich dauerhaft vielleicht Diktaturen beherrschen, aber nicht Demokratien. Demokratien gründen auf Optimismus, auf der Hoffnung, dass es vorangeht, trotz aller Krisen
("Blutende Wunden - Die Weltmacht Amerika acht Jahre nach 9/11", Essay von Gerhard Spörl, Der Spiegel 37/2009 p108)

Der Schock über 9/15, den Tag des Börsencrashs, sitzt tiefer als der über 9/11, denn er stellt das System in Frage
("Es reicht! Von einem, der aus Versehen links wurde", Essay von Matthias Matussek, Der Spiegel 37/2009 p145)


SPIEGEL: Sind Sie enttäuscht von Obama?
Haslett: Nein. Unter Bush war jede Entscheidung ideologisch grundiert. Wir steckten so tief drin im rechten Sumpf und ritten uns jeden Tag tiefer hinein, dass ich nun schon erleichtert bin, weil es aus diesem Loch wieder herausgeht. Und Obama ist sprachmächtig, das ist der Hauptunterschied, ein guter Stilist. Bush hat sich darin gefallen, Sprache zu zertrümmern und als Mittel der Politik unbrauchbar zu machen. Das hat den öffentlichen Diskurs in unserem Land zerstört
Der SPIEGEL, Heft 4/2010 Seite 109, Interview mit den Schriftstellern Jonathan Franzen (hat in Berlin studiert) und Adam Haslett (hat Jura in Yale studiert), beide USA
]


Amerikas Kriegsmaschine

Der Jugoslawienkrieg hat Washington und London einander so nahe gebracht wie nie zuvor ....
``Unser ziel ist es, die kooperationsfähigkeit und effektivität der kriegführung durch engere verbindungen zwischen rüstungsunternehmen der USA und der verbündeten zu bessern''. (aus einer erklärung des US-verteidigungsministers William Cohen und seines britischen kollegen Geoffrey Hoon von Januar 2000)
Das versteckte ziel der transatlantischen zusammenarbeit von briten und amerikanern besteht darin, die französisch-deutschen rüstungskonzerne zurückzudrängen und die dominanz des militärisch-industriellen komplexes der USA im bündnis mit britischen rüstungsfirmen sicherzustellen. Das abkommen wurde unterzeichnet, kurz nachdem British Aerospace (BAe) und GEC Marconi zu British Aerospace Systems (BAeS) fusionierten. Zu diesem zeitpunkt war BAe bereits eng mit den größten amerikanischen rüstungskonzernen Lockheed Martin und Boeing liiert.
Während der militärisch-industrielle komplex Großbritanniens zunehmend mit dem US-amerikanischen zusammengeht, zeigen sich risse zwischen Washington und Berlin. Seit den frühen 90er jahren fördert die deutsche regierung die konsolidierung sowohl der von Daimler, Siemens und Krupp dominierten einheimischen als auch der (kontinental)europäischen rüstungsindustrie. Bereits 1996 gründeten Paris und Bonn eine gemeinsame rüstungsagentur, wobei sie sich ausdrücklich gegen die teilnahme Großbritanniens aussprachen ....
Londons vorläufige entscheidung gegen den euro befindet sich in übereinstimmung mit der integration britischer finanz- und bankinteressen in jene der Wall Street. Die wackelige annäherung von britischem pfund und US-dollar ist, mit anderen worten, integraler bestandteil der neuen britisch-amerikanischen achse, die bereits in der öl- und in der rüstungsindustrie erhärtet worden ist
[Anmerkung von men-kau-ra: tatsächlich schwankt der kurs des GBP gegen den US$ im unterschied zu DEM/EUR, CHF und JPY seit November 1999 (sorry, that's when I started to take notice of it) bemerkenswert wenig ]
....
Während die USA Pakistan militärhilfe gewähren, wird Indien von Frankreich und Russland unterstützt.
Frankreich und die USA stehen im indisch-pakistanischen konflikt erkennbar auf entgegengesetzten seiten
....
Der Jugoslawienkrieg und der kurz danach ausbrechende krieg in Tschetschenien im September 1999 waren ein entscheidender wendepunkt in den russisch-amerikanischen beziehungen. Er führte auch zur annäherung zwischen Russland und China, die in einem bilateralen militärabkommen ihren ausdruck fand.
Die versteckte hilfe der USA für die tschetschenischen rebellengruppen waren der russischen führung bekannt. ....

Nachwort

Das ist der vorerst letzte akt eines dramas, das unter dem titel ``globalisierung'' läuft, um nach möglichkeit zu verdecken, dass es sich dabei um die selbstinszenierung des ``Amerikanischen Imperiums'' handelt. In einem jahr vielleicht - oder auch in einem halben - muss gewiss eine neue (und abermals vorläufige) schlussszene hinzugefügt werden. Sie deutet sich jetzt schon an in der rhetorik von der ``achse des bösen''.

Michel Chossudowsky `Global Brutal / Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg', Zweitausendeins, 11.Auflage Oktober 2002

[Anmerkung von men-kau-ra:
Was die zukunft bringen kann, zeigt die vergangenheit (zu folgendem vergleiche im `Epilog' unten `Guantanamo Bay' oder in der Microsoft-story den umgang mit der entscheidung des richters Thomas Penfield Jackson, oder die gebilligte plünderung des nationalmuseums in Bagdad 2003):
Das tief eingewurzelte, rassische vorurteil der weißen Anglo-Amerikaner gegenüber den roten Indianern, im grunde genommen eine volksweite neurose, ist eines der fremdartigsten und zutiefst erschreckenden phänomene in der geschichte. In der ganzen westlichen hemispäre gibt es dazu keine parallele. Die heissblütigen spanischen und portugisischen freibeuter hatten im namen der krone und des kreuzes Mexiko, Mittel- und Südamerika erobert. Doch bei all ihren grausamkeiten hatten sie kein rassenvorurteil. Von anfang an gab es mischehen mit den unterworfenen Indianern, wodurch eine neue rasse, der "Mestizo", ins leben gerufen wurde. Auch die Franzosen vermischten sich in Kanada und den USA mit Indianern, und die Deutschen gingen als kolonisatoren überall verbindungen mit den eingeborenen ein. Die Anglo-protestanten stellten darin den entschiedensten gegensatz zu den anderen Euro-Amerikanern dar. Kaltblütig, stark gehemmt und gebunden an ihre puritanische tradition, begannen sie, fast vom tag ihrer landung bei Plymouth Rock an, mit der planmässigen ausrottung der Indianer ....
.... noch später, zu Lincolns jugendzeit, `gab die natürliche und freundschaftliche verbrüderung der Franzosen mit den Indianern den Amerikanern anlass zur verwunderung. Diese freundschaftlichen beziehungen und die gelegentlichen mischehen erschienen der grimmigen, angelsächsischen exklusivität geradezu ungeheuerlich'. Diese abscheu vor der rassenmischung und das selbstgerechte abschlachten der Indianer war das banner, unter dem die neuen eroberer über die Alleghenies, die Great Plains und die Rocky Mountains nach westen vordrangen.
Schon 1641 begannen die Neuen Niederlande damit, für Indianerskalps prämien auszusetzen. Diese verfahrensweise wurde 1704 von Connecticut und dann von Massachusetts übernommen, wo pastor Solomon Stoddard von Northampton die siedler aufforderte, die Indianer wie bären mit hunden zu jagen. Virginia und Pennsylvanien folgten bald nach, wobei letzteres belohnungen für skalps von indianischen männern, frauen und kindern unter zehn jahren aussetzte.
.... Die frauen wurden mit dem gewehrkolben erschlagen, und den kindern zerschmetterte man an baumstämmen den kopf, um die ausgaben für blei und pulver zu sparen ....
Der fall des Cherokeestammes kam vor den obersten gerichtshof. Der oberste richter fällte seine entscheidung zugunsten der landrechte der Cherokee. Präsident Jackson trumpfte auf: `John Marshall hat seine entscheidung gefällt, nun soll er sie auch durchsetzen' ....
Dies also war das großartige motiv der expansion einer anglo-weißen nation nach westen, einer nation, deren dasein und weiterentwicklung in der ursprünglichen heiligkeit des besitzrechtes begründet war. In dem schatten, den der tod einer rasse wirft, in dieser tragödie eines ganzen kontinents, erkennen wir den grund für die berechtigte furcht der friedlichen, religiös gesinnten Hopi, dass die vordringenden Amerikaner nicht die lang-verlorenen brüder seien, nicht die weißen Pahánas
.... Die idee zu diesem verteilungssystem kam dem senator Henry L. Dawes aus Massachusetts wärend eines besuchs bei den Cherokee [der größte Irokesenstamm, mit eigenem alphabet und schriftlich niedergelegter verfassung und gewaltenteilung legislative/jurisdiction/executive !], deren neue heimat nun in Oklahoma lag. Er berichtete:
>>Der oberhäuptling erzählte uns, dass es in seinem stamm keine familie gäbe, die nicht ein eigenes zuhause besäße. Es gäbe nicht einen armen in diesem volk, und es schulde niemandem einen dollar ... Und doch ist die schwäche dieses systems offentsichtlich. Sie sind so weit gekommen, wie es ihnen möglich ist, weil sie das land als gemeinschaftsgut besitzen ... Es gibt keine selbstsucht bei ihnen, die doch überall die grundlage der zivilisation ist. Solange dieses volk nicht bereit ist, das land abzugeben, und es unter seinen bürgern aufzuteilen, so dass jeder das land, das er bearbeitet auch besitzen kann, so lange werden sie keinen fortschritt machen.<<
Deshalb trat 1890 das "Dawes-" oder "Allgemeine Verteilungsgesetz" in kraft. Es sah vor, dass an stelle des gemeinschaftlichen eigentumsrechts des stammes am reservationsland jedem Indianer ein teil dieses landes als unbeschränktes eigentum zugeteilt würde. Da man von den Indianern nicht erwartete, dass sie sich vermehrten, sollte der "landüberschuss" von der regierung für 300 dollar pro quadratkilometer erworben und zur besiedlung eröffnet werden.
Dieses system war so wirksam, dass das indianerland schnell von 560,000 auf 210,000 quadratkilometer zusammenschrumpfte. Von der differenz, 350,000 quadratkilometer, entfielen 250,000 auf den "überschuss", der rest wurde von weissen siedlern, bodenspekulanten, advokaten und politikern gestohlen. Um den "fortschritt" der indianer weiter zu beschleunigen, nahm man ihnen mit gewalt die kinder weg und steckte sie in auswärtige schulen. Ihnen wurden die haare geschnitten und der gebrauch ihrer sprache, das tragen ihrer eigenen bekleidung und die pflege ihres brauchtums verboten ....
Aber auch:
Zu hause erfuhr Paul, dass der Große Geist seine schafherde auf mehr als hundert stück hatte anwachsen lassen. Aber ein regierungsagent kam und sagte, dass die herde verkleinert werden müsse, da der distrikt 6 nicht groß genug sei. Paul weigerte sich .... und wurde abermals in das gefangenenlager in Tucson geschickt .... Die männer der regierung nahmen ihnen etwa die hälfte der schafe weg .... Auf dem fünfzehn kilometer langen marsch durch die wüste verlor Janet ihr kind .... Im winter mussten alle übrigen schafe getötet werden, da Pauls eltern zu alt und seine frau zu schwach war, sie zu versorgen. Als Paul schliesslich entlassen wurde, kehrte er daher heim zu einer verarmten familie und einer frau, die ihr kind verloren hatte. Dennoch sagte er: >>Ich bin froh, dass wir diese dinge erlitten haben, denn wir wollen unserem lebensweg und unseren religiösen lehren auch weiterhin folge leisten. Wir wirken nicht nur für uns, sondern für alle menschen der welt, und wir hoffen, dass wir diese lebensart niemals verlieren werden<< ....
Der aufstieg in die fünfte welt hat bereits begonnen. Er wird durch die demütigen menschen der kleinen nationen, stämme und rassischen minderheiten gemacht. Man kann dies an der erde selbst ablesen. Pflanzenformen vergangener welten tauchen plötzlich als samen auf. Dies könnte der anlass sein zu einem neuartigen studium der botanik, wenn nur die menschen weise genug wären, die zeichen zu lesen. Dieselbe art von samen wird auch in gestalt von sternen in den himmel gesät. Sie alle sind ein und dasselbe, und es kommt nur darauf an, wie man es anschaut. Dies ist es, woraus sich der aufstieg in die nächste, die fünfte welt ergibt.
Dies sind die neun prophezeiungen der Hopi, die mit der erschaffung der neun welten verbunden sind: die drei vergangenen welten, auf denen wir gelebt haben, die gegenwärtige vierte welt, die zukünftigen drei welten, die wir noch erleben werden, und die welt Taiowas, des schöpfers, und die seines neffen Sotuknang
....
Die ankunft des verlorenen weissen bruders der Hopi, des Pahána, sowie die rückkehr des bärtigen, weissen gottes der Maya, Kukulkan, und des toltekischen und aztekischen Quetzalcoatl war im ganzen präkolumbianischen Amerika ein so verbreiteter mythos, dass man ihn als eine tief im unbewussten wurzelnde vorstellung ansehen muss. Die rückkehr Quetzalcoatls zu den Azteken in Mexico war für das jahr prophezeit, das seinen namen trug: Ce Acatl. Und in jenem jahr, 1519, kam er in der gestalt des Hernán Cortés und seiner spanischen conquistadoren

Frank Waters, Das Buch der Hopi, Eugen Diederichs Verlag, München, 9. Auflage 1996 (org 1963) ]



Epilog zum Globalismus (Südwestpresse/Schwäbisches Tagblatt 04dec2002)

USA / Justizministerium plant Sonderbehandlung für Terrorverdächtige
Abkehr vom Recht soll recht sein

Die bisher meist heimliche Aushöhlung der Bürgerrechte im Kampf gegen den Terrorismus soll in den USA nun gesetzlich verankert werden. Die Regierung plant ein zweites Rechtssystem, von dem alle Menschen betroffen wären, die auch nur unter vagem Terrorverdacht stehen.

Seit den Terroranschlägen vom 11. September vergangenen Jahres hat die US-Regierung unter Federführung des erzkonservativen Justizministers John Ashcroft die Grundsätze der amerikanischen Rechtsstaatlichkeit zunehmend untergraben. Jetzt soll dieser Vorgang mittels einer zweiten Justiz institutionalisiert werden. So können verdächtige Menschen, die von der Regierung nach unklar definierten Kriterien als ``feindliche Krieger" eingestuft werden, für beliebige Zeit auf Militärstützpunkten inhaftiert und ohne die Unterstützung eines Anwalts vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Damit wird ihnen der in der Verfassung garantierte Rechtsbeistand verweigert. Geheime Militärtribunale könnten bald eigenhändig Ausweisungen oder langjährige Gefängnisstrafen verhängen, ohne dass Einzelheiten der Verfahren jemals an die Öffentlichkeit gelangen.
Durchsuchungsbefehle werden ohne jede Rechtsgrundlage ausgestellt. Kürzlich beschloss ein umstrittenes Geheimgericht in den Räumen des Justizministeriums, dass Privatwohnungen durchsucht und überwacht und private Gespräche abgehört werden dürfen, wenn auch nur der geringste und entlegenste Terrorverdacht vorliegt. Die Einberufung des Gerichts, das faktisch der Regierung angegliedert ist, stützt sich auf ein Geheimdienstgesetz, das im Gefolge der iranischen Geiselkrise im Jahre 1978 verabschiedet wurde.
Die Bush-Regierung argumentiert, die ``zweite Justiz" sei als Ergänzung und nicht als Ersatz für das bestehende Rechtssystem gedacht.
[cf. hier zu positivem Recht] So weist ein leitender Mitarbeiter des Ashcroft-Ministeriums darauf hin, dass sowohl der ``amerikanische Taliban" John Walker Lindh als auch der ``Schuhbomber" Richard Reid vor zivile Strafgerichte gestellt wurden. ``Wir führen hier einen Krieg, und da gelten im wahrsten Sinne des Wortes andere Gesetze", erklärt der US-Beamte. Er weist aber darauf hin, dass das parallele System noch diverse juristische Instanzen durchlaufen und vermutlich durch den obersten Gerichtshof in Washington abgesegnet werden muss. Dies könne noch Jahre dauern.
Bürgerrechtler führen hingegen ins Feld, die Regierung habe die Rechtsstaatlichkeit schon längst unterlaufen und suche nun nachträglich eine Rechtfertigung. ``Es kann nicht angehen, dass der Präsident eigenhändig Menschen als Terroristen bezeichnet und für diese Abstempelung niemandem Rechenschaft schuldig ist'', erklärt Morton Halperin, Leiter eines politischen Instituts in Washington.
Andere kritisieren, dass selbst US-Bürger, deren Verbindungen zum organisierten Terrorismus äußerst fraglich sind, bereits den neuen Spielregeln zum Opfer gefallen sind. So wird der Amerikaner Jose Padilla, der im Verdacht steht, eine ``schmutzige Bombe" gebastelt zu haben, seit Mai auf einem Militärstützpunkt in South Carolina festgehalten. Völlig unklar auch der Fall des saudischen Taliban-Kämpfers Yaser Esam Hamdi, der seit seiner Festnahme in einer Zelle auf dem US-Stützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba sitzt. Hamdi wurde in Louisiana geboren und fällt damit wohl auch unter das zweite Recht.


Südwestpresse/Schwäbisches Tagblatt 04dec2002




Michael Hudson, Macht durch Geld und Bankrott
Artikel im Handelsblatt vom Wochenende 1/2/3dec2017, Seite 60

Erst Gläubiger, dann Schuldner der Welt: Michael Hudson analysiert den Aufstieg der USA zurfifinanziellen Supermacht.
Begegnung mit einem Grenzgänger unter den Ökonomen.
Frank Wiebe - New York
Michael Hudson stellt mir eine ungewöhnliche Frage, als wir uns in einem koreanischen Restaurant in Queens treffen: “Haben Sie ein Spesenkonto?” Normalerweise legen Amerikaner eher Wert darauf, ihre eigene Großzügigkeit unter Beweis zu stellen. Als ich die Frage bejahe, bestellt er groß&zügig Seafood, alles mögliche, was im Meer schwimmt, Fische, Muscheln, Krabben. Aber wir trinken nur Wasser, weil wir uns zum Lunch getroffen haben.
“Meine Frau ist Koreanerin”, erklärt er die Wahl des Treffpunkts. Und er hat mich nach Queens bestellt, weil er vor Jahren aus Manhattan hinaus in diesen Stadtteil New Yorks gezogen ist: “Hier ist die Luft besser.” Der Ökonom trägt ein blaues Hemd und breite, graue Hosenträger. Mit seiner intellektuellen Ausstrahlung, die durch einen leicht tragischen Blick gemildert wird, könnte er auch ein auf Brecht spezialisierter Theaterregisseur sein. Und links ist er ja, sogar sehr links, jedenfalls für amerikanische Verhältnisse. Was ihn nicht daran hindert, auch mit den Linken unzufrieden zu sein, wie überhaupt mit der Ungerechtigkeit des Lebens. Und damit, dass seine Bücher zwar in Berlin an einer Uni als Lehrmittel eingesetzt wurden, auch in China und Japan, aber niemals in den USA.
Besonders unzufrieden ist er mit der demokratischen Partei in den USA. “Die hat sich nie um die Arbeiter gekümmert“, sagt er. Er bezeichnet die Partei, die Hillary Clinton vergeblich als Kandidatin fürs Weiß&e Haus aufgestellt hatte, als “hoffnungslosen Fall”. Und wirft ihr vor, von reichen Geldgebern abhängig zu sein, in dem Zusammenhang murmelt er “auch von Zionisten”.

Blaupause für Imperialisten

Ein neues Buch von ihm ist gerade unter dem Titel “Finanzkapitalismus” in deutscher Übersetzung erschienen. Darin zeichnet er nach, wie Amerika zur finanziellen Großmacht wurde. Ein Thema, das ihn seit langem umtreibt, schon seit seinem Buch “Super Imperialism” aus dem Jahr 1972. In der Einleitung seines neuen Buchs erinnert er sich: “Super Imperialism hat sich im Großraum von Washington am besten verkauft, und das Verteidigungsministerium beauftragte mein Hudson Institute, die genaue Funktionsweise dieses extraktiven Finanzsystems zu erklären. Ich wurde auch ins Weiße Haus eingeladen, um es zu erläutern, und amerikanische Geostrategen verwendeten mein Buch als Handbuch zur praktischen Umsetzung (was ich nicht bezweckt hatte).”
Ungewollt wurde der Kritiker des Imperialismus so zum Vordenker. Etwas unklar bleibt dabei an vielen Stellen, ob er den Vereinigten Staaten vorwirft, planvoll und strategisch ihr Imperium aufgebaut zu haben.
Oder ob er eine Entwicklung beschreibt, in der die wirtschaftliche Supermacht zwar in vielen Einzelentscheidungen ihre Interessen durchgesetzt hat, aber insgesamt mit improvisiertem Vorgehen ihre heutige Position erreicht hat. Auffällig ist auch, dass Hudson mehrere Phasen der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte mit gegensätzlichen Vorzeichen beschreibt, aber in beiden Fällen die US-Politik für verwerflich hält. Zunächst hat diese Nation ihre Übermacht nach dem Ersten Weltkrieg als großer Gläubiger aufgebaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg, so lautet sein Vorwurf, hat sie diese Position durch die Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank gefestigt. Aber danach hat sich die Situation um 180 Grad gedreht: Aus dem übermächtigen Gläubiger wurde der schwergewichtige Schuldner. “Die amerikanischen Staatsschulden ersetzen den Goldstandard”, schreibt Hudson. Und bringt es auf die Kurzformel “Macht durch Bankrott”.
Damit wurden die USA in eine Situation versetzt, wo sie beinahe beliebig Staatspapiere in Umlauf bringen können, ohne einen echten Bankrott befürchten zu können - das ist der Zustand bis heute. Trotzdem bleibt die Frage offen: Wenn die Position als Gläubiger als Imperialismus gedeutet wird und die als Schuldner ebenso, wie hätten die USA dann vermeiden sollen, übermächtig zu werden? Möglicherweise durch eine ausgewogene finanzielle Position. Möglicherweise wird eine wirtschaftliche Supermacht aber auch zwangsläufig zu einer Art Imperium, egal, wie sie es anstellt.
In seinem neu auf Deutsch erschienenen Buch zeichnet Hudson die Geschichte seit dem Ersten Weltkrieg bis in die 70er-Jahre nach, wo mit der Ablösung vom Goldstandard die Grundlage für das heutige System der US-Staatschulden als Fundament des Weltwirtschaftssystems gelegt wurde. Die Analyse dieses heutigen Zustands hatte der Autor zuvor in anderen Büchern geleistet, etwa in “Der Sektor”, das im vergangenen Jahr auf Deutsch erschienen ist und den Untertitel trägt: “Warum die globale Finanzwirtschaft uns zerstört”.
Hudson sieht die Rolle der USA schon nach dem Ersten Weltkrieg sehr kritisch. Nach seiner Darstellung sind sie am Aufkommen des Nationalsozialismus mitschuldig. Denn bekanntermaßen hatte der britische Ökonom John Maynard Keynes schon 1919 vor einer neuen “Barbarei” gewarnt, die aus den Reparationslasten Deutschlands, die dem besiegten Land im Versailler Vertrag aufgebürdet wurden, erwachsen würde. Hudson spinnt den Faden noch weiter. Er zeichnet nach, dass die USA ihren Kriegsverbündeten, allen voran Großbritannien, bei den Krediten, die sie zur Finanzierung des Kriegs in Amerika aufgenommen hatten, keinen Schritt entgegenkamen. Die harte Haltung der Alliierten gegenüber Deutschland war demnach auch dadurch bedingt, dass sie selbst bei den Amerikanern in der Kreide standen und finanziell ausgeblutet waren. Aus Sicht des Autors ein Beispiel dafür, wie ein Kontinent in einen Verteilungskonflikt und den nächsten Krieg getrieben wird.
[
Mehr zu diesem Thema siehe unten bei David A. Stockman]

Das Geld fließt im Kreis

Das Verdienst Hudsons ist, dass er die Finanzströme genau nachzeichnet und damit deutlich macht, wie letztlich die USA über neue Kredite an Europa die Begleichung der Kriegsschulden ermöglicht haben. Eine Scheinlösung, die später zum Zusammenbruch führte. Und eine Warnung: Wer auf der Rückzahlung von Schulden besteht, muss dem Schuldner auch die Möglichkeit geben, sie zu bezahlen. Die Amerikaner haben in der Zwischenkriegszeit aber mit Schutzzöllen die Europäer daran gehindert, das Geld zu verdienen, das sie von ihnen eintreiben wollten.
Indirekt ergibt sich daraus eine Lehre für die heutige Situation in Europa: Wer Schulden eintreiben möchte, darf den Schuldner nicht in die Enge treiben. Vor dem Hintergrund sieht Hudson, wie weniger linke amerikanische Ökonomen auch, die Rolle Deutschlands kritisch: Hohe Überschüsse in der Leistungsbilanz und das Bestehen auf der Rückzahlung von Schulden passen nicht zusammen.
Hudsons Kritik lässt nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: “Die destruktivste Fiktion in den internationalen Finanzbeziehungen lautet, alle Schulden könnten - und müssten tatsächlich - bezahlt werden, selbst wenn das ganze Volkswirtschaften zerstört, die zum Sparen gezwungen werden”, schreibt er. Und setzt hinzu: “Aber einige europäische Länder, allen voran Deutschland, schrecken davor zurück, sich für eine ausgewogenere Weltwirtschaft einzusetzen, die allen Ländern Wachstum ermöglichen und eine wirtschaftliche Kontraktion vermeiden würde.” Um Deutschlands Position etwas ausgewogener zu machen, schlägt er vor, das Land solle in die eigene Infrastruktur investieren, aber auch, “wie die Chinesen”, in die Infrastruktur anderer Länder. Denn seiner Meinung nach müssen die Finanzüberschüsse in die reale Wirtschaft fließen statt in reines Finanzvermögen, damit sie nicht irgendwann doch wieder entwertet werden - letztlich zum Nachteil Deutschlands. Interessant ist dabei sein Hinweis, dass die hohe Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auch dadurch bedingt ist, dass die Immobilienpreise hier nicht so überhöht sind wie in anderen Ländern.
Hudsons Kritik an den USA geht über die rein wirtschaftlichen Fragen hinaus. Er wirft dem Land vor, mit der Umstellung vom Gold- auf den Schuldenstandard letztlich auch die eigenen Kriege finanziert zu haben. Und im Gespräch über koreanisch zubereitete Meeresfrüchte sagt er: “Deutschland will nichts für Griechenland bezahlen, aber finanziert durch den Kauf von US-Staatsanleihen die amerikanischen Kriege. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich viele Deutsche bewusst dafür entscheiden würden.”
Ein bisschen grantelig wirkt er schon, vor allem wenn er über die derzeitige US-Politik redet. Die Steuerreform hat [nach] seiner Meinung wenig Chancen. Zur Bankenaufsicht sagt er nur: “Es ist egal, wie die Regulierung aussieht, wenn du die Richter einsetzt.” Aber zum Schluss des Gesprächs ist er wieder besser gelaunt. Er lässt sich die üppigen Überreste des Essens einpacken und verabschiedet sich - in seine Wohnung im bescheidenen Stadtteil Queens.



David A. Stockman, Ein Schlag gegen Europa - Der Kriegseintritt der USA 1917
Handelsblatt vom Wochenende 15/16/17may2015, No 92, Gastkommentar “Ein Schlag gegen Europa”
David A. Stockman wirft einen kritischen Blick auf den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg

In diesen Tagen jährt sich zum hundertsten Mal die Torpedierung des englischen Schiffes Lusitania durch ein deutsches U-Boot. Sein Untergang trug dazu bei, dass zwei Jahre später ein US-Präsident mit dem Parteibuch der Demokraten Amerika als aktive Kriegspartei in den Ersten Weltkrieg führen konnte.
Woodrow Wilson beendete damit nicht nur auf einen Schlag eine jahrzehntelang bewährte, von den Republikanern geprägte Nichtinterventionsstrategie der USA gegenüber Europa. Die Kriegsentscheidung Wilsons versetzte dem “alten Kontinent” zugleich einen schweren Schlag und bereitete den Boden für eine Epoche des Bösen, die ohne die Intervention Amerikas womöglich nie Wirklichkeit geworden wäre.
Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre der Krieg in Europa aufgrund der längst ohne jede Siegesaussicht erstarrten Fronten, der am Boden liegenden Kriegswirtschaften und der großen Kriegsmüdigkeit in der europäischen Öffentlichkeit in kurzer Frist - vielleicht schon 1917 - mit einem Waffenstillstand und Ausgleichsfrieden der erschöpften, diskreditierten Kriegsparteien zu Ende gegangen. Erst der Kriegseintritt der USA brachte die Verlängerung eines in Stagnation gefangenen Krieges und führte zu einem von rachsüchtigen Siegern und triumphierenden Nationalisten gestalteten Friedensschluss.
Rückblickend lässt sich feststellen, dass die USA auf diese Weise massiv in das Steuerrad der europäischen Geschichte gegriffen und deren Kurs auf folgenschwere Weise verändert haben. Wilsons Kriegseintritt gab den Anstoß zur politischen Bankrotterklärung des Kontinents und zu einem vom Revanchismus der Sieger geprägten Versailler Friedensvertrag. Die Folgen waren fatal: Es entstand eine politische Kultur der Radikalisierung, die dem Totalitarismus in Deutschland und Russland den Boden bereitete. Die Diktaturen Hitlers und Stalins, der Zweite Weltkrieg und der Holocaust wären der Welt vielleicht ebenso erspart geblieben wie der Kalte Krieg, das nukleare Wettrüsten und die jahrzehntelange Teilung Europas, hätte es die US-Intervention im Jahr 1917 nicht gegeben. Und die USA selbst hätten wohl ein anderes Selbstverständnis als das eines permanent hochgerüsteten Weltpolizisten entwickelt.
Schon das Jahr 1917 wäre wohl ganz anders verlaufen: Einiges spricht dafür, dass ohne den amerikanischen Kriegseintritt bereits im Verlauf dieses Jahres ein Waffenstillstand der entkräfteten Kriegsparteien zustande gekommen wäre. Dann hätte Russland zu dieser Zeit keine verzweifelten militärischen Anstrengungen mehr unternommen, die der Novemberrevolution faktisch den entscheidenden Vorschub leisteten. Stattdessen wäre Lenin - und somit auch Stalin - der Weg zur Macht wohl versperrt geblieben. Russlands Weg in die Moderne hätte einen ganz anderen Verlauf nehmen können.
Für die deutsche Geschichte war der amerikanische Kriegseintritt nicht minder fatal: Ein “klassischer” innereuropäischer Friedensvertrag hätte die Kriegsschuld kaum so einseitig verteilt und eine Kriegspartei derart schwer mit Gebietsabtretungen und Reparationen gestraft wie der Versailler Vertrag es tun konnte, nachdem die USA einen unentschiedenen Krieg entschieden hatten. Kaum vorstellbar, dass dann “Dolchstoßlegenden”, wirtschaftliche Repressalien und der Vorwurf, einen “Diktatfrieden” akzeptiert zu haben, die deutsche Staatsführung völlig desavouiert hätten. Die französische Besetzung des Ruhrgebiets hätte keinen Aufschrei des Nationalismus provoziert, und ohne die Reparationen wäre die Wirtschaftskrise 1923 wohl nicht in eine Hyperinflation ausgeufert, die die deutsche Mittelschicht mit voller Wucht traf und sie für radikale Parolen „reif“ machte.
Dabei war die Schuld am Ersten Weltkrieg schon aus zeitgenössischer Sicht keineswegs so eindeutig verteilt, wie es der Versailler Vertrag nach Kriegsende glauben machen wollte. Das gilt erst recht aus der fernen Perspektive der USA. Die europäische Katastrophe war das vermeidbare Resultat eines gigantischen kollektiven Versagens. Sie entstand aus einem Strudel von politischer Inkompetenz und diplomatischer Unaufrichtigkeit, von persönlichen Eitelkeiten und nationalistischer Arroganz. Auf allen Seiten, in allen Regierungen und in allen Militärstäben offenbarte sich im Kulminationspunkt der Julikrise 1914 ein frappierendes Maß an Fehleinschätzungen und Fehlverhalten.
Eine erhebliche Mitschuld trifft fraglos den deutschen Kaiser Wilhelm II., der dem großen Krieg schon mit der demonstrativen Demission des “ehrlichen Maklers” Bismarck, dann mit der Weigerung, den Rückversicherungsvertrag mit Russland zu erneuern, und schließlich mit dem Schildbürgerstreich der Flottenrüstung die Bühne bereitete. Reichskanzler Bethmann-Hollweg trug das Seine durch eine „doppelzüngige“ Politik bei, die Österreich zur Kriegserklärung an Serbien drängte.
Die ohnehin sieche Donaumonarchie Österreich-Ungarn lieferte in dieser Zeit den wiederholten Beweis dilettantischer Krisendiplomatie im Vertrauen auf einen deutschen “Blankoscheck”. In Russland war ein dekadentes Zarentum ebenso unfähig, den Gang der Ereignisse aufzuhalten, wie sein Außenminister Sasonow, der sich mit seiner taktierenden Position nicht gegen die eigenen Militärs behaupten konnte, aber auch selbst mit dafür sorgte, dass Serbien in der Sarajewo-Krise nicht einlenkte.
Und schließlich tragen auch Frankreich und England ein gehöriges Maß an Mitschuld am Ausbruch des Krieges. Das französische Bündnis mit Russland nahm Deutschland in die Zange, und Paris drängte das Zarenreich mit Nachdruck zum Krieg. England ließ es derweil zu lange an unzweideutigen Signalen gegenüber Deutschland fehlen, in jedem Fall an der Seite Frankreichs in einen Krieg einzutreten, und beteiligte sich damit an einem verhängnisvollen diplomatischen Ränkespiel auf Messers Schneide. Zur Debatte standen für London nicht die Verteidigung demokratischer Ideale, des britischen Liberalismus oder der Kampf gegen einen preußischen Militarismus, sondern schlichte Großmachtinteressen. Die Verletzung der belgischen Neutralität durch deutsche Truppen war als Anlass der Kriegserklärung deshalb höchst willkommen, auch wenn Deutschland damit im Grunde nur auf seine Zweifrontenstellung reagierte.
Vor diesem Hintergrund multipler Kriegstreiberei und -schuld in Europa wird Woodrow Wilsons Entscheidung zum Kriegseintritt der USA umso fragwürdiger. Es gab keine Sicherheitsinteressen Amerikas, die diesen Schritt hätten rechtfertigen können. Insbesondere die oftmals angeführten Kriegsgründe - der “bedingungslose” deutsche U-Boot-Krieg und die abgefangene Depesche des deutschen Außenministers Zimmermann zur Vorbereitung eines antiamerikanischen Bündnisses mit Mexiko - sind letztlich nicht plausibel.
Deutschlands U-Boot-Krieg war nichts anderes als der Versuch einer Antwort auf die sehr wirksame englische Seebloade und bildete keine Bedrohung für die USA. Das Zimmermann-Telegramm stellte den in Form, Inhalt und Übermittlung grotesken Versuch dar, Mexiko als Kontrahenten der USA zu gewinnen. Dem Land dabei die deutsche Unterstützung hinsichtlich der Rückgewinnung ehemaliger mexikanischer Territorien auf amerikanischem Boden zuzusichern, gehörte damals zu den üblichen diplomatischen Offerten aller Bündnisschmiede und war somit ebenfalls kein ernsthafter Casus Belli. Erst der englische Geheimdienst, der die Depesche abfangen konnte, bauschte sie dazu in dem erfolgreichen Bestreben auf, Kriegshysterie in den USA zu schüren.
Als die USA in den europäischen Krieg eintraten, war aus dem allgemein erwarteten kurzen Waffengang längst ein blutiges Patt geworden. Es wäre nur noch eine Frage kurzer Zeit gewesen, bis Meutereien entlang der französischen Kampflinien, Demoralisierung in England, Hunger und Elend in Deutschland, allgemeine Zahlungsunfähigkeit und politische Unruhen die Mächte zum Einhalt gezwungen hätten. Zugleich zeigte die russische Armee deutliche Auflösungserscheinungen.
Wilsons Intervention hat einen desaströsen Krieg zum Schaden Europas verlängert und die Welt nicht besser gemacht.
Obendrein hat er die Konturen der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert radikal verändert und mit dazu beigetragen, eine noch größere Katastrophe heraufzubeschwören.
Der Autor war Budgetdirektor im Weißen Haus unter Präsident Ronald Reagan




Paul Krugman, Die neue Weltwirtschaftskrise
Campus Verlag Frankfurt/New York 2008 (W.W. Norton & Company, New York, 2008: The Return of Depression Economics and the Crisis of 2008)
(Aktualisierung eines bereits zehn Jahre früher erschienenen Werkes)

Im Kern stellten die Maßnahmen, die Washington in den zurückliegenden Jahren vielen Krisenländern verordnet hatte, eine vollkommene Umkehrung des keynesianischen Paktes dar: Angesichts einer Wirtschaftskrise wurden die Länder gedrängt, die Zinssätze anzuheben, die Staatsausgaben einzuschränken und die Steuern zu erhöhen.
Wie war es nur möglich, dass sechzig Jahre nach Keynes so etwas für gut befunden werden konnte? Die Antwort liegt darin, dass man glaubte, das Vertrauen der Märkte wiedergewinnen zu müssen, koste es, was es wolle. (p134)
An die Stelle einer soliden Politik trat psychologisches Dilettieren, wobei IWF und US-Schatzamt versuchten, die Länder zu Maßnahmen zu überreden, von denen man glaubte, sie würden die Stimmung in den Märkten verbessern. Wundert es da noch, dass die Ökonomielehrbücher in hohem Bogen aus dem Fenster flogen, als die Krise zuschlug? (p136)
Die Haushaltsdefizite waren zwar für die Märkte aktuell kein Problem, doch der IWF war der Auffassung, dazu werde es bald kommen. Außerdem glaubte man, es komme für die betroffenen Länder darauf an, ihre Umkehr möglichst deutlich zu dokumentieren. Man könnte dies fast als Strategie der symbolischen Selbstkasteiung bezeichnen: Tu dir weh - ob dies nun mit den Ursachen der Krise etwas zu tun hat oder nicht -, um zu zeigen, dass du es ernst meinst! Nur so, glaubte man, könne das Vertrauen der Investoren zurückgewonnen werden.
Falls das die Theorie gewesen sein sollte, dann war sie ziemlich falsch. Die Haushaltsauflagen wurden letztlich nämlich doch wieder gelockert, ohne dass davon groß Notiz genommen wurde. Die Märkte zeigten sich Korea gegenüber wieder von der freundlichen Seite, obwohl die strukturellen Reformen offenkundig zum Stillstand gekommen waren. Hinzu kommt, dass durch den schieren Umfang der IWF-Auflagen ein sich hinziehendes Gezänk zwischen den betroffenen asiatischen Ländern und ihren "Retter" praktisch programmiert wurde, was die Vertrauenskrise nicht eben besänftigte, sondern im Gegenteil verstärkte. Ganz abgesehen übrigens von dem Verdacht, die Amerikaner benutzten die Krise, um Asien die eigene Ideologie aufzuzwingen (p139)
In der Welt von Keynes - und in der unseren - betraf die eigentliche Knappheit daher nicht die Ressourcen oder gar die Tugend, sondern die Erkenntnis.
Die Erkenntnis, die wir brauchen, werden wir aber nur erreichen, wenn wir bereit sind, uns klare Gedanken über unsere Probleme zu machen und diesen Gedanken zu folgen, wohin sie auch immer führen mögen. Manche sagen, unsere wirtschaftlichen Probleme seien struktureller Natur und eine rasche Abhilfe sei nicht in Sicht. Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass die wesentlichen strukturellen Hindernisse für eine prosperierende Welt allein in den überholten Doktrinen bestehen, die den Menschen den klaren Blick verstellen. (p222)


Auch eine Antwort auf Krugmans Frage "Wie war es nur möglich?" liefert Tomás Sedlácek in seinem Werk "Die Ökonomie von Gut und Böse", 2012 Carl Hanser Verlag München (Original Prag 2009):
  Man muss den Ökonomen zugestehen, dass sie eine Reihe praktischer Anwendungen für abstrakte mathematische Sprachen gefunden haben, doch ein guter Diener ist manchmal ein schlechter Herr. Leider hat Wittgenstein auch hier recht: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt" [Tractatus logico-philosophicus, 5.6]. Wenn die Mathematik zur Sprache der Ökonomen geworden ist, müssen wir in Kauf nehmen, dass wir unsere Welt dadurch eingeschränkt haben.
  Paradoxerweise führt die überzogene Anwendung der Mathematik zumindest im Falle der Ökonometrie nicht selten zu einer Verdunkelung der Realität. Wassily Leotief, Träger des Nobelpreises für Wirtschaft, schreibt [in Theoretical Assumptions and Nonobserved Facts, 1.3]: "Die unkritische Begeisterung für mathematische Formulierungen führt leider häufig dazu, dass der flüchtige wesentliche Inhalt des Arguments hinter der gewaltigen Front der algebraischen Zeichen verschwindet. ... Auf keinem anderen Gebiet der empirischen Untersuchungen [als der Ökonometrie] hat eine so massive und ausgefeilte statistische Maschinerie so mäßige Ergebnisse gebracht. .... Die meisten dieser Modelle landen ohne jede praktische Anwendung in den Schränken."
  Der vernünftige Mensch passt sich der Welt an.
Der unvernünftige versucht hartnäckig,
die Welt an sich anzupassen.
Daher hängt aller Fortschritt
vom unvernünftigen Menschen ab
(Georg Bernard Shaw, Man and Superman, 189; zitiert nach Sedlácek, Seite 369)




Joseph E. Stiglitz und Andrew Charlton, Fair Trade, Agenda für einen gerechten Welthandel
2006 Murmann Verlag GmbH, Hamburg (Original: Oxford University Press 2005)


Ein unzulänglicher Kapitalmarkt führt unter Umständen zu protektionistische Maßnahmen als optimaler Lösung, da zB regierung nicht über ausreichende finanzmittel für beihilfen oder ausreichende fähigkeiten zur gezielten steuerung verfügt. "Die Regierung kann nicht feststellen, wer sich als guter Wissensproduzent bewähren wird, und kann folglich ihre Subventionen nicht geeignet lenken. Geistige Eigentumsrechte erhöhen die Rendite privater Wissensproduktion - zum Preis temporärer Monopole. Protektionismus beschränkt den Wettbewerb aus dem Ausland, gestattet aber Wettbewerb im Inland." (p46)
Es gibt viele Gründe, warum eine staatliche Einmischung in die Wirtschaft fehlschlagen kann. Einer davon lautet, dass Regierungen nicht über alle Informationen hinsichtlich Marktunzulänglichkeiten verfügen; häufig sind sie sogar über bestimmte Sektoren weniger informiert als private Akteure. (p52)
Keines der heute reichen Länder entwickelte sich, indem es einfach dem Außenhandel Tür und Tor öffnete. (p53)
Die entwickelten Länder waren [im Rahmen der GATT-Verhandlungen] viel stärker an ihren gegenseitigen Märkten interessiert als an denjenigen der Entwicklungsländer. (p58)
Tagesordnung d Uruguay-Runde im wesentlichen an prioritäten der entwickelten länder orientiert. "Diese regressive Asymmetrie führte dazu, dass die durchschnittlichen OECD-Zölle nach der Umsetzung der Beschlüsse der Urugay-Runde auf Importe aus Entwicklungsländern viermal so hoch sind wie auf Importe aus anderen OECD-Ländern (Laird 2002). Der Protektionismus (insbesondere in Form von Agrarsubventionen) ist ebenfalls in den entwickelten Ländern größer und erreichte im Jahr 2002 ein Gesamtvolumen von mehr als 300 Milliarden US-Dollar. (p62f)
Seit die Fertigungsgüter nur noch 14 Prozent ihres BIP ausmachen [in Europa nicht viel mehr (p123)], ist es nur verständlich, dass die USA den Schwerpunkt der Handelsliberalisierung auf den Dienstleistungsbereich verlagern. (p67)
(Der Anteil der entwickelten Länder am Welthandel fiel im Fertigungssektor von 90 Prozent im Jahr 1970 auf 72 Prozent im Jahr 2000 (Weltbank 2002a)) (Anmerkung 8 p123)
In den Handelsdisputen sitzen die entwickelten Länder de jure und de facto am längeren Hebel. So kann es beispielsweise für ein Entwicklungsland sehr kostspielig sein, Klagen gegen ein entwickeltes Land vorzubringen oder sich gegen Klagen eines entwickelten Landes zur Wehr zu setzen; in der Praxis sind Entwicklungsländer immer dann im Nachteil, wenn es zu komplizierten und kostspieligen rechtlichen Auseinandersetzungen kommt.
.... Aber selbst, wenn ein Entwicklungsland vor einem WTO-Tribunal gegen die Vereinigten Staaten oder Europa obsiegt, ist das Vollstreckungssystem unsymmetrisch und folglich unfair. Als Sanktion für die Verletzung eines WTO-Abkommens dient die Verhängung von Zöllen. Wenn beispielsweise Ecuador Zölle gegen Importgüter aus den Vereinigten Staaten verhängte, hätte dies kaum Folgen für die amerikanischen Produzenten. Belegten hingegen die Vereinigten Staaten in Ecuador hergestellte Güter mit einer Zollabgabe, hätte dies vernichtende wirtschaftliche Folgen. (p91)
Die EG, Japan und die USA waren in fast der Hälfte aller bilateralen Dispute (143 von 305) im WTO-Streitschlichtungssystem zwischen 1995 und 2002 die Klageführer. Zum Vergleich: Die 49 von den Vereinten Nationen als am wenigsten entwickelte Länder klassifizierten Mitglieder brachten im selben Zeitraum keine einzige Klage ein. (p97)
32 der von der UNO anerkannten 50 am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) sind WTO-Mitglieder. (p101)
In den Verhandlungen gibt es eine wichtige Asymmetrie ... Die Entwicklungsländer sind in einer viel ungünstigeren Situation - sie benötigen Hilfe bei den erforderlichen Anpassungen, und sie benötigen längere Anpassungszeiten.
Folglich schlagen wir in diesem Buch vor:
1. Alle WTO-Mitglieder verpflichten sich, allen Entwicklungsländern, die ärmer und kleiner sind als sie selbst, freien Marktzugang bei allen Gütern zu gewähren. Auf diese Weise können alle Entwicklungsländer freien Zugang zu allen Märkten mit (a) einem größeren BIP und (b) einem größerem BIP pro Kopf erwarten.
2. Die entwickelten Länder verpflichten sich zur Abschaffung sämtlicher Agrarsubventionen.
3. Das Versprechen der Marktöffnung soll nicht durch trickreiche Umgehungen wie beispielsweise Ursprungsregeln untergraben werden.
Reziprozität soll also nicht wie in der Vergangenheit zentrales Merkmal dieser Verhandlungen sein. (p122)
Nach Importvolumen gewichtet sehen sich die Entwicklungsländer mit durchschnittlichen Fertigungszöllen von 3.4 Prozent bei Exporten in entwickelte Länder konfrontiert - mehr als das Vierfache des Durchschnittszolls für Güter aus entwickelten Ländern (0.8 Prozent ...) (p137)
Der durchschnittliche importgewichtete Zollsatz für Importe von Fertigprodukten aus Entwicklungsländern in Entwicklungsländer beträgt 12.8 Prozent ... veranschlagen die Wohlstandsgewinne für die Entwicklungsländer aufgrund einer Liberalisierung des Handels mit Fertigprodukten durch andere Entwicklungsländer auf 31 Milliarden US-Dollar. (p138f)
Steuern auf den internationalen Handel machen bei den entwickelten Ländern rund ein Prozent und bei den am wenigsten entwickelten Ländern rund 30 Prozent der staatlichen Einnahmen aus. Kleine Länder sind am stärksten auf Zölle angewiesen. .... Eine komplette Abschaffung der Zölle würde natürlich auch die Zolleinnahmen auf null bringen. Ein solches Szenario zwänge die Entwicklungsländer, die Struktur ihres Steuersysttems radikal zu ändern, um sich neue Einnahmequellen zu erschließen. [Aus Abb. 13.2 p201 abgelesene durchschnittliche Zolleinnahmen 1995 in Prozent des BIP: OECD 0.3, Südamerika 2.3, Asien und Pazifik 3.3, Naher Osten 3.5, Afrika 5.4]


EXTRA:
Joseph E. Stiglitz u Linda J. Bilmes, Die wahren Kosten des Krieges, Wirtschaftliche und politische Folgen des Irak-Konflikts
Pantheon Verlag, München (Gruppe Random House), erste Auflage 2008
p138: "Der Irakkrieg und insbesondere der hohe Ölpreis haben die amerikanische Wirtschaft geschwächt; aber diese Schwächen waren wegen der niedrigen Zinsen und der laxen Kreditvergabevorschriften nicht so offenkundig, wie sie andernfalls gewesen wären. (Anmerkung 38: .... Die geldpolitischen Maßnahmen mögen die Auswirkungen kurzfristig überdeckt und die Last auf spätere Jahre verschoben haben. ....)"
p204: REFORM[vorschlag] 9: Es sollte eine Vermutung geben, wonach die Kosten eines Konflikt, der länger dauert als ein Jahr, von den gegenwärtigen Steuerzahlern getragen werden sollten, und zwar durch Erhebung einer Kriegszusatzsteuer.



Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert
C.H. Beck München 2014 (Original: Le Capital au XXIe siécle, Editions du Seuil, 2013)

Das erste grundlegende Gesetz des Kapitalismus: α = r x β
α = Anteil der Kapitaleinkommen am Nationaleinkommen
r = durchschnittliche Kapitalrendite
β = Verhältnis des Kapitalstockes zum jährlichen Nationaleinkommen
Beispiel: β = 600%, r = 5%, dann ist α = 30% (p78)

Das zweite fundamentale Gesetz des Kapitalismus: β = s/g
β = Verhältnis des Kapitalstockes zum jährlichen Nationaleinkommen
s = Sparquote
g = Wachstumsrate des Nationaleinkommens
Beispiel: s = 12%, g = 2%, dann ist β = 12%/2% = 6 = 600% (p219f)

Der Mechanismus der Vermögensdivergenz: r versus g
“Der Hauptmechanismus, der für die Hyperkonzentration von Vermögen verantwortlich ist, die wir in den traditionellen ländlichen Gesellschaften wie in nahezu allen Gesellschaften bis zum Ersten Weltkrieg finden ...., liegt in der Tatsache, dass es sich um Wirtschaften handelt, die sich durch schwaches Wachstum und eine Kapitalrendite auszeichnen, die deutlich und dauerhaft über der Wachstumsrate liegt [r > g] ....
Gehen wir von einer Welt mit schwachem Wachstum aus, zum Beispiel 0.5-1% pro Jahr, wie es bis zum 18. und 19. Jahrhundert die Regel war. Die Kapitalrendite, von der wir gesehen haben, dass sie im Allgemeinen bei 4-5% pro Jahr lag, ist daher in solchen Gesellschaften konstitutiv sehr viel höher als die Wachstumsrate. Konkret bedeutet dies, dass die in der Vergangenheit akkumulierten Vermögen sich auch dann, wenn keinerlei Arbeitseinkommen vorhanden ist, sehr viel schneller rekapitalisieren, als die Wirtschaft wächst.
Wenn zum Beispiel g = 1% und r = 5%, dann genügt es, ein Fünftel der Kapitaleinkommen zu sparen - und die vier anderen Fünftel zu konsumieren -, um Kapital, das man von der vorigen Generation geerbt hat, mit derselben Rate wie die Ökonomie insgesamt wachsen zu lassen. (p466f)
Wenn es einmal da ist, reproduziert Kapital sich von selbst - und zwar schneller, als die Produktion wächst. Die Vergangenheit frisst die Zukunft. (p786)
In der Praxis scheint sich freilich kein einziges historisches Beispiel dafür zu finden, dass die Kapitalrendite von sich aus dauerhaft unter 2-3% gefallen wäre - und die Durchschnittswerte liegen, wie unterscheidlich die Investitions- und Renditeformen auch immer sein mögen, im Allgemeinen näher bei 4-5% (vor Steuern). Insbesondere die Renditen aus agrarischen Nutzflächen in traditionellen Gesellschaften und aus Immobilien in heutigen Gesellschaften, also den gängigsten und sichersten Eigentumsformen, belaufen sich im Allgemeinen auf 4-5% pro Jahr - vielleicht, wie sich im zweiten Teil gezeigt hat, auf sehr lange Sicht mit einer leichten Abwärtstendenz (3-4% statt 4-5%).
Das ökonomische Modell, das man zumeist bemüht, um zu erklären, weshalb die Kapitalrendite sich relativ stabil bei 4-5% hält (und niemals unter 2-3% fällt), beruht auf dem Begriff der <Gegenwartspräferenz>. (p475)
Es gibt keine einfache Lösung, die dieses Problem aus der Welt schaffen könnte. Wachstum kann durch Investitionen in Bildung, Erkenntnis und umweltfreundliche Technologien gefördert werden. Aber dadurch wird es nicht auf 4-5% pro Jahr steigen.” (p786)

“Ein durchschnittlicher Steuersatz von 30% aber, der eine Kapitalrendite vor Steuern von 5% auf eine Nettokapitalrendite von 3.5% reduziert, zeitigt bereits erhebliche langfristige Effekte, bedenkt man, welcher multiplikativen und kumulativen Logik der dynamische Prozess der Akkumulation und Konzentration von Vermögen gehorcht. Greift man auf die oben beschriebenen theoretischen Modelle zurück, so kann man zeigen, dass ein effektiver Durchschnittssteuersatz von 30% - so er tatsächlich auf alle Arten von Kapital angewandt wird - allein für eine sehr starke Dekonzentration von Vermögen sorgen kann (von derselben Größenordnung wie der historisch zu verzeichnende Rückgang des Anteils des obersten Perzentils).” (p497)

“Wie hemmungslos die Exzesse ihrer Helden auch sein mögen - die Romanciers des 19. Jahrhunderts [namentlich Austen und Balzac] schildern uns gleichwohl eine Welt, in der Ungleichheit sich in gewisser Weise als notwendig darstellt: Gäbe es nicht eine begüterte Minderheit, gäbe es niemanden, der sich etwas anderem als dem eigenen Überleben widmen könnte. Diese Auffassung von Ungleichheit hat immerhin das Verdienst, sich nicht als meritokratisch auszugeben. Es wird gleichsam eine Minderheit auserkoren, im Namen aller anderen zu leben - aber es versucht zumindest keiner den Anschein zu erwecken, diese Minderheit besitze größere Verdienste oder Tugenden als der Rest der Bevölkerung. .... Die moderne meritokratische Gesellschaft, namentlich in Amerika, ist ungleich härter für die Verlierer, da sie ihre Herrschaft als eine verstanden wissen will, die auf Angemessenheit, Tugend, Verdienst beruht - und den Verlierern damit ihr Zurückbleiben als mangelnde Produktivität zurechnet. ....” (p553f) [Siehe hierzu auch Hannah Arendt, Vita activa]
“Als Émile Boutmy 1872 die Vorläuferin der heutigen Sciences Po, die École libre des sciences politiques gründete, erteilte er ihr einen klaren Auftrag: <Die Klassen, die sich die herrschenden Klassen nennen, können heute, da sie sich dem Gesetz der Mehrheit beugen müssen, ihre politische Vorherrschaft nur behaupten, indem sie das Recht des Leistungsfähigsten geltend machen. Wenn die Festungsmauern ihrer Vorrechte und der Tradition fallen, wird sich die Welle der Demokratie an einem zweiten Bollwerk brechen, errichtet aus glanzvollen Verdiensten, achtungsgebietender Überlegenheit und Fähigkeiten, denen keine gesunde Vernunft sich verschließen kann.> Nimmt man diese unglaubliche Erklärung ernst, so kann man aus ihr nur schließen, dass die herrschenden Klassen aus Überlebensinstinkt ihre Untätigkeit abgelegt und die Meritokratie erfunden haben, um einer durch das allgemeine Wahlrecht drohenden Enteignung zu entgehen.” (p652f)

“Es ist durchaus möglich, dass uns eine Zukunft bevorsteht, in der die Schattenseiten zweier Welten sich vereinigen - nämlich einerseits die sehr starke Ungleichverteilung ererbten Kapitals, andererseits eine extreme Lohnungleichheit, die in Begriffen des Verdiensts und der Produktivität gerechtfertigt wird (von denen sich bereits gezeigt hat, wie sehr sie der faktischen Grundlage entbehren). Der meritokratische Extremismus könnte daher ein Wettrennen zwischen Supermanagern und Rentiers heraufbeschwören - zum Schaden all derer, die das eine so wenig wie das andere sind. Zudem betrifft der meritokratische Glaube, die Ungleichheiten in modernen Gesellschaften seien gerechtfertigt, beileibe nicht nur die Spitze der Hierachie, sondern auch Diskrepanzen zwischen Unterschichten und Mittelschichten. .... in den Vereinigten Staaten und Frankreich .... Tiefeninterviews mit Vertretern der ‘oberen Mittelschicht’ geführt .... In beiden Ländern, so einer der Hauptbefunde, pocht die ‘Bildungselite’ vor allem auf ihre Verdienste und persönlichen moralischen Vorzüge, die in Begriffen wie Gründlichkeit, Durchhaltevermögen, Arbeit, Fleiß (aber auch Toleranz, Freundlichkeit etc.) zur Sprache gebracht werden. Ihre Vorzüge in solchen Begriffen zu beschreiben und vom Charakter ihrer Dienstboten abzusetzen (über die man freilich gar nicht erst spricht), das wäre den Helden und Heldinnen Austens und Balzacs nie in den Sinn gekommen.” (p555f)

“Die ökonomische und technologische Rationalität hat mit der demokratischen Rationalität manchmal nichts zu tun. Erstere verdanken wir der Aufklärung und zweifellos ist man zu oft der Vorstellung erlegen, letztere würde sich gleichsam von selbst, wie von Zauberhand aus ihr ergeben. Aber die wirkliche Demokratie und soziale Gerechtigkeit erfordern spezifische Einrichtungen, die nicht einfach die des Marktes sind, und sich auch nicht einfach auf formale parlamentarische und demokratische Institutionen reduzieren lassen.” (p565)

“Das Problem liegt darin, dass die Ungleichung r > g, verstärkt durch die Ungleichheit der Renditen in Abhängigkeit vom Ausgangskapital, häufig zu einer extremen und dauerhaften Vermögenskonzentration führt. .... Das ist der entscheidende Grund, der die Einführung einer Progressivsteuer rechtfertigt, die jährlich auf die weltweit größten Vermögen erhoben würde und die einzige Weise ist, diesen potentiell explosiven Prozess demokratisch zu kontrollieren, ohne die unternehmerische Dynamik einer offenen Volkswirtschaft zu beeinträchtigen.” (p591f)

“Statt sich Betrachtungen über die moralische Hierarchie der Vermögen hinzugeben, die sich in der Praxis häufig als Übungen in okzidentalzentristischem Dünkel entpuppen, scheint es mir sinnvoller, die allgemeinen Gesetze zu untersuchen, denen die Dynamik der Vermögensentwicklung ohne Ansehen der Person gehorcht, und über Weisen der Regulierung, namentlich der Besteuerung nachzudenken, die auf alle gleichermaßen Anwendung finden - von welcher Nationalität sie auch sein mögen.” (p594)

“Und aus den vorliegenden Daten, die den Vorzug haben, öffentlich zugänglich undextrem detailliert zu sein, geht völlig unzweideutig hervor, dass diese alternativen Anlagen es den sehr großen Stiftungsvermögen [der US-Universitäten] erlauben, an die 10% Realrendite zu erreichen, während die kleineren sich mit 5 % begnügen müssen. .... Natürlich sind Anlageberater und Vermögensverwalter, um das Mindeste zu sagen, nicht immer unfehlbar, aber im Durchschnitt doch eher in der Lage, gewinnbringende Anlagen zu erkennen - und das ist tatsächlich der Hauptgrund dafür, dass die größten Stiftungsvermögen [hier exemplarisch für alle größten Vermögen] die höchsten Renditen erzielen.” (p600f)

“Die Inflation führt in erster Linie nicht zur Reduktion, sondern zur Umverteilung der Kapitalrendite. ... eher zum Nachteil der schwächeren und zum Vorteil der größeren Vermögen .... (p608f)

“Die öffentlichen Ausgaben für Bildung und Gesundheit machen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zwischen 10% und 15% .... Lohnersatzleistungen und Transfereinkommen .... im Allgemeinen zwischen 10% und 15% (manchmal fast 20%) des Nationaleinkommens in den meisten reichen Ländern aus .... Praktisch machen die Renten den mit weitem Abstand größten Teil (zwischen zwei Dritteln und drei Vierteln) der Lohnersatzleistungen und Transfereinkommen aus .... Verglichen mit den Renten stellt das Arbeitslosengeld ein sehr viel geringeres Volumen dar (typischerweise 1-2% des Nationaleinkommens) .... Sozialhilfeleistungen schließlich machen ein noch unbedeutenderes Volumen aus (weniger als 1%), das in der Gesamtheit öffentlicher Ausgaben kaum ins Gewicht fällt. Dennoch sind gerade diese Leistungen heftig umstritten.” (p636ff)

“Vergleicht man die verfügbaren Quellen, kann man im Übrigen das gegenwärtige Durchschnittsgehalt der Eltern von Harvard-Studenten auf 450000 Dollar schätzen, was ungefähr dem Durchschnittseinkommen der reichsten 2% amerikanischer Haushalte entspricht. Mit der Idee einer Auswahl, die ausschließlich auf Leistung beruht, ist das kaum vereinbar. Der Kontrast zwischen dem offiziellen meritokratischen Diskurs und der Realität scheint hier besonders extrem auszufallen. Zudem herrscht hinsichtlich des Auswahlverfahrens völlige Intransparenz.” (p649)
Aber verglichen mit der öffentlichen Finanzierung des skandinavischen Typs läuft ein solches System [der sich nach dem Einkommen der Eltern richtenden Studiengebühren] grosso modo auf eine Privatisierung des Gebrauchs der Progressivsteuer hinaus: was die wohlhabenden Eltern zahlen, kommt ihren Kindern zugute, nicht denen anderer; und es liegt ganz offenbar in ihrem eigenen Interesse, nicht dem anderer. Die income-contigent loans in Australien oder Großbritannien sind Kredite, die an Studierende aus ärmeren Verhältnissen vergeben werden und erst abbezahlt werden müssen, wenn ein bestimmtes Einkommensniveau erreicht ist. Das kommt einer zusätzlichen Einkommensteuer für ärmere Studierende gleich, während die wohlhabenderen von den (im Allgemeinen unbesteuerten) Schenkungen ihrer Eltern profitieren.” (p652)

“Mit Steuereinnahmen in Höhe von 10-15% des Nationaleinkommens - das belegen alle historischen Erfahrungen - lassen sich die hoheitlichen Aufgaben finanzieren, aber viel mehr auch nicht. Sollen Polizei und Justiz ordnungsgemäß funktionieren, ist kaum etwas für die Finanzierung von Bildung und Gesundheit übrig. Bleibt noch die Möglichkeit, alle schlecht zu bezahlen, in welchem Fall wahrscheinlich keiner der öffentlichen Dienste ordnungsgemäß funktionieren wird. Das führt leicht in einen Teufelskreis, da schlecht funktionierende öffentliche Dienste dazu beitragen, das Vertrauen in den Staat auszuhöhlen - was es wiederum erschwert, höhere Steuereinnahmen zu erzielen. Die Entwicklung eines Steuer- und Sozialstaats ist eng an den Prozess der Staatsbildung als solchen gebunden. Es handelt sich also um eine eminent politische und kulturelle Geschichte, die unauflöslich mit den historischen Besonderheiten und sozialen Brüchen des jeweiligen Landes verflochten ist.” (p658)

“Die Progressive Steuer ist daher eine relativ liberale Methode des Abbaus von Ungleichheiten, eine Einrichtung, die den freien Wettbewerb und das Privateigentum respektiert. Sie modifiziert private Anreize in einer mitunter radikalen Weise, aber sie tut dies nach vorhersehbaren Regeln, die im rechtsstaatlichen Rahmen im Voraus festgelegt und demokratisch ausgehandelt werden. In gewisser Weise stellt die progressive Steuer einen idealen Kompromiss zwischen sozialer Gerechtigkeit und individueller Freiheit her. Es ist darum kein Zufall, wenn die angelsächsischen Länder, die in ihrer Geschichte den individuellen Freiheiten besonders verpflichtet waren, im 20. Jahrhundert die Steuerprogression zeitweise am weitesten vorangetrieben haben. (p679f) ....
Es gibt, konkreter formuliert, eine fast perfekte Korrelation zwischen beiden Phänomenen. Die Länder, die ihren Spitzensteuersatz am stärksten gesenkt haben, sind dieselben, in denen die höchsten Einkommen - und namentlich die Vergütungen der Führungskräfte großer Unternehmen - am stärksten gestiegen sind. .... Für eine Führungskraft ist es immer schwer, die anderen beteiligten Parteien (direkte Untergebene, Gehaltsempfänger, die in der Hierarchie weiter unten stehen, Aktionäre, Mitglieder des Vergütungsausschusses), davon zu überzeugen, dass eine bedeutende Anhebung der Vergütung - zum Beispiel 1 Million Dollar mehr - wirklich gerechtfertigt ist. In den 1950er und 1960er Jahren hatte eine amerikanische oder britische Führungskraft keinen großen Anreiz, um eine solche Erhöhung zu kämpfen, und die anderen Beteiligten eine geringere Bereitschaft, sie zu akzeptieren, da 80-90% ohnehin in die öffentlichen Kassen gingen .... die Wachstrumsrate des BIP pro Kopf in allen reichen Ländern seit den 1970er Jahren exakt dieselbe ist .... Das Sinken des Spitzensteuersatzes und der Anstieg der höchsten Gehälter scheinen (den Vorhersagen der Angebotstheorie entgegen) die Produktivität nicht angekurbelt zu haben - oder zumindest nicht sosehr, dass es auf gesamtwirtschaftlicher Ebene nachweisbar wäre. .... und vor allem zeigt sich, dass die von Glücksgewinnen abhängige Elastizität (kurzum: die Fähigkeit von Führungskräften, Gehaltserhöhungen zu erzielen, die nicht eindeutig durch wirtschaftliche Leistung gerechtfertigt sind) hauptsächlich in den Ländern zugenommen hat, in denen der Grenzsteuersatz stark gesunken ist.“ (p686ff)

“Unseren Schätzungen zufolge läge das ideale Niveau des Spitzensatzes in den Industrieländern über 80% (Anmerkung 1: 82%, um ganz exakt zu sein) .... Halten wir fest, dass die progressive Steuer in dem von uns vorgeschlagenen theoretischen Modell (wie übrigens auch in der Geschichte) zwei verschiedene Rollen spielt: Die konfiskatorischen Steuersätze (um die 80-90% auf der Ebene der reichsten 1% oder 0.5%) erlauben es, den unmäßigen und nutzlosen Vergütungen Einhalt zu gebieten; die hohen, aber nicht konfiskatorischen Steuersätze (um die 50-60% auf der Ebene der reichsten 10% oder 5%) erlauben einen Anstieg der Steuereinnahmen und tragen derart (über die Abgaben der am wenigsten reichen 90% hinaus) zur Finanzierung des Sozialstaats bei. .. auch wenn die Quellenlage dürftig ist, gibt es zumal Grund zu der Annahme, dass die politische Klasse der Vereinigten Staaten (gleich welcher politischen Richtung) sehr viel reicher ist als die der europäischen Staaten, ja Welten vom amerikanischen Durchschnitt entfernt - was eine Erklärung dafür sein könnte, dass sie regelmäßig ihr Privatinteresse und das der Allgemeinheit miteinander verwechselt (Anmerkung 1: Nach den Daten, die das Center for Responsible Politics auf der Grundlage von Vermögenssteuererklärungen gewählter Volksvertreter zusammengetragen hat, beläuft sich das Durchschnittsvermögen der 535 amerikanischen Kongressmitglieder 2012 auf 15 Millionen Dollar. Nach den von der französischen Regierung veröffentlichten Daten beläuft sich das Durchschnittsvermögen der 30 französischen Minister und Staatssekretäre gegenwärtig auf ungefähr 1 Million Euro. Wie groß die Unwägbarkeiten auch sein mögen - der Abstand scheint beträchtlich. Das Durchschnittsvermögen in den beiden Ländern beträgt um 200000 Dollar oder Euro. Siehe Technischer Anhang)” [http://piketty.pse.ens.fr/capital21c] (p693ff)
Nicht Finanzierung des Sozialstaats, sondern Regulierung des Kapitalismus ist die Hauptrolle der Kapitalsteuer. Es geht einerseits darum, eine endlose Ungleichheitsspirale und unbegrenzte Divergenz der Vermögensungleichheiten zu vermeiden, andererseits um wirksame Regulierung von Finanz- und Bankenkrisen.” (p701)

“Der plausibelste Grund, aus dem Steueroasen das Bankgeheimnis verteidigen, ist ein ganz anderer. Es erlaubt ihren Kunden, sich ihren Steuerverpflichtungen zu entziehen, und es erlaubt ihnen selbst, einen Teil der entsprechenden Gewinne einzubehalten. Das Problem besteht nur darin, dass dies mit den Prinzipien der Marktwirtschaft nicht das Geringste zu tun hat. Es gibt kein Recht, seinen Steuersatz selbst festzusetzen. Durch die Integration und den Freihandel mit den Nachbarn reich werden und ihnen gleichzeitig ihr Steueraufkommen abzuzapfen, ist nichts anderes als schierer Diebstahl. (p707)
Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sich greifbare Resultate nur erzielen lassen, wenn man automatische Sanktionen nicht allein gegen Banken, sondern auch gegen Länder verhängt, die sich weigern, die Pflicht zum automatischen Datenaustausch für sämtliche Banken auf ihrem Boden gesetzlich zu verankern. Man könnte etwa daran denken, Zölle von 30% für die fraglichen Länder einzuführen, wenn nötig auch mehr.” (p709)

Eine Vermögenssteuer mit einem Satz von 0% auf Vermögen unter 1 Million Euro, 1% zwischen 1 und 5 Millionen Euro, darüber 2%, angewandt auf alle Länder der Europäischen Union, beträfe etwa 2.5% der Bevölkerung und würde den Gegenwert von etwa 2% des BIP einbringen. (p717)

“Eine friedlichere Form der Umverteilung und der Regulierung der globalen Ungleichverteilung des Kapitals ist offenbar die Einwanderung. Statt das Kapital zu verlagern, was mit allen erdenklichen Schwierigkeiten einhergeht, ist es zuweilen eine einfachere Lösung, die Arbeit dorthin zu bringen, wo die höheren Löhne gezahlt werden .... Die Umverteilung durch Einwanderung schiebt das Problem nur etwas auf, aber sie dispensiert uns nicht davon, Regulierungen einzuführen - Sozialstaat, progressive Einkommensteuer, pogressive Kapitalsteuer -, die nichts von ihrer Dringlichkeit verlieren.” (p734f)

“Der monetaristischen Lehre zufolge war der New Deal mit seiner Fülle öffentlicher Ämter und Sozialtransfers, wie er mit Roosevelt und den Demokraten nach der Krise der 1930er Jahre auf den Plan trat, nur ein groß angelegter, ebenso kostspieliger wie nutzloser Schwindel. Zur Rettung des Kapitalismus braucht es keinen Welfare State und keine krakenhafte Regierung. Es braucht nur eine gute Federal Reserve. In den 1960er un 1970er Jahren, in denen ein Teil der Demokraten noch von der Vollendung des Big Deal träumte, während die öffentliche Meinung schon über den relativen Niedergang der Vereinigten Staaten gegenüber einem in vollem Wachstum begriffenen Europa beunruhigt war, schlug diese schlichte und kraftvolle politische Botschaft ein wie eine Bombe. Die Arbeiten von Friedman und der Chicago School trugen zweifellos dazu bei, ein Klima wachsenden Misstrauens gegenüber dem unbegrenzten Wachstum des Staates zu schaffen und der konservativen Revolution von 1979/80 den Boden zu bereiten.” (p750)

“Ohne eine solche Politische Europäische Union werden sich die Folgen eines verschärften Steuerwettbewerbs zweifellos immer deutlicher bemerkbar machen. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass er seinen Zenit schon überschritten hat.” (p769)

“Aber man kann unter bestimmten Hypothesen eine Obergrenze der Kapitalmenge angeben, die zu akkumulieren sinnvoll ist. Dieses Maximalniveau ist erreicht, wenn man soviel Kapital akkumuliert, dass die Kapitalrendite r, die mit seiner Grenzproduktivität identisch sein sollte, auf das Niveau der Wachstumsrate g sinkt. Nimmt man sie buchstäblich, würde diese Regel r = g, die Edmund Phelps 1961 auf den Namen der <goldenen Regel der Kapitalakkumulation> getauft hat, einen Kapitalstock erfordern, der sehr viel höher läge als diejenigen, die im Laufe der Geschichte zu beobachten sind, da die Kapitalrendite, wie wir gesehen haben, stets deutlich über der Wachstumsrate lag. .... Ist die Goldene Regel erfüllt, dann heißt das per definitionem, dass langfristig der Anteil des Kapitals am Nationaleinkommen exakt gleich der Sparquote der Wirtschaft ist: α = s. Gilt dagegen die Ungleichung r > g, dann ist langfristig der Anteil des Kapitals größer als die Sparquote: a > s. (Anm2: Der Anteil des Kapitals wird durch α= r × β wiedergegeben. Langfristig ist β = s / g, also α = s × r / g. Daraus folgt, dass α = s, wenn r = g, und dass α > s, wenn und nur wenn r > g. Siehe Technischer Anhang.) Anders ausgedrückt: Die Goldene Regel ist erfüllt, wenn man soviel Kapital akkumuliert hat, dass es nichts mehr abwirft.” (p771f)

“Dennoch glaube ich, dass Forscher aus den Sozialwissenschaften wie allen anderen Disziplinen, Journalisten und Kommentatoren sämtlicher Medien, Gewerkschaftler und politische Aktivisten aller Richtungen, und vor allem sämtliche Bürger ernsthaft über Geld nachdenken sollten, über seine Verteilung, über die Tatsachen und Entwicklungen, die mit ihm verknüpft sind. Diejenigen, die viel davon haben, werden gewiss nicht vergessen, ihre Interessen zu verteidigen. Von den Zahlen nichts wissen zu wollen, dient selten der Sache der Ärmsten.” (p793)

E N D E






Eine kurze Geschichte der Entstehung des Internationalen Währungsfond in Bretton Woods
- sowie zum Ende von Bretton Woods

Harry Dexter White, Volkswirt und Politiker, war bei der Konferenz von Bretton Woods unter Finanzminister Henry Morgenthau US-amerikanischer Verhandlungsführer. Ebenso wie John Maynard Keynes, welcher die englische Position vertrat, hatte White das Ziel, ein Fixkurs-System zwischen den Währungen zu etablieren, jedoch ohne die Rigidität des Goldstandards.

Entgegen dem Willen Keynes setzte White jedoch, da er die Kontrolle über die Beschlussprotokolle hatte, den US-Dollar als Ankerwährung durch (während Keynes eine unabhängige, internationale Währung zur Abrechnung im Zahlungsverkehr vorsah). Es wurde nicht - wie von Keynes angenommen - das anglo-amerikanische „Joint Statement“ umgesetzt, sondern das genaue Gegenteil davon bestimmt: der US-Dollar als künftige Weltleitwährung.

Tatsächlich hatten jedoch weder Keynes noch die weiteren 730 Delegierten aus 44 Nationen bemerkt, dass sie den US-Dollar zur Weltleitwährung gekrönt hatten: Denn das eigentliche Ergebnis der Konferenz war in den drei Wochen andauernden Verhandlungen gar nicht zur Sprache gekommen. Vielmehr versteckte sich die Sonderrolle des US-$ - der den Verlauf der kommenden Jahrzehnte dominieren sollte - in den vertrackten Klauseln eines 96-seitigen Dokuments mit „über 45 000 Wörtern, 31 Kapiteln, 100 oder mehr Sujets und über 100 Querverweisen“. Dieses äußerst unübersichtliche Dokument unterzeichneten die Delegierten der 44 Nationen, ohne dass ihnen die Gelegenheit gegeben wurde, es zuvor zu lesen.

Aufgrund seines überragenden internationalen Ansehens und seiner einzigartigen Überzeugungskraft war Keynes der Einzige, der Whites Pläne ernsthaft hätte gefährden können. Daher war es zentraler Bestandteil der Strategie von White, seinen größten Widersacher erst gar nicht in die Debatte eingreifen zu lassen. Dies erreichte er auf einfachste Weise: er unterteilte die Konferenz von Bretton Woods in die beiden parallelen Schienen „Währung“ und „Bank“ und ernannte Keynes zum Vorsitzenden der Sitzungen über die Bank. So war Keynes an den Gesprächen über die Währungen nicht beteiligt, zu deren Vorsitzendem White sich selbst erklärte (so Keynes).

Schriftführer und ihre Assistenten waren allesamt US-Amerikaner. Die ohnehin schon babylonische Verwirrung erfuhr eine weitere Steigerung durch das von White ausgedachte Verfahren, das die eigentlichen Vorgänge der Konferenz möglichst komplex gestaltete und es den Delegierten so unmöglich machte, den Überblick zu behalten. White hatte dann in den Dokumenten das Wort „Gold“ einfach gegen „Gold und US-Dollar“ ausgetauscht und einige zusätzliche Textpassagen eingefügt. Dazu wurde nach den Atombombenabwürfen über Japan der ‘Lend-Lease-Act’ gekündigt und die Alliierten dadurch erpresst.
Am 06dec1945 wurde das anglo-amerikanische Kreditabkommen in Washington unterschrieben. Als dessen Bedingungen veröffentlicht wurden (so wurde die Ratifizierung des Bretton-Woods-Vertrages zur Vorraussetzung des Kredits erhoben), schrieb der Economist: „Bettler können nicht wählerisch sein. Aber sie können, einer alten Tradition folgend, die Begierden der Reichen mit einem Fluch belegen.“

Zur Inauguration von IWF und WeltBank luden die USA von 08 bis 22mar1946 zu einer Konferenz nach Savannah. Dazu Keynes: „Die Amerikaner haben nicht die geringste Ahnung, wie sie diese Institutionen nun zu funktionierenden internationalen Unternehmen machen können, und ihre Ideen sind in nahezu jeder Hinsicht schlecht. Dennoch haben sie deutlich vor, ihre eigenen Vorstellungen ohne jede Rücksicht auf uns andere durchzusetzen. Entsprechend macht es nun den Eindruck, als würden sich die Institutionen zu amerikanischen Unternehmungen entwickeln, von einem gigantischen amerikanischen Mitarbeiterstab geleitet, wobei wir anderen ziemlich am Rande stehen. Ich bin mir sicher, dass sich - sobald sie die Arbeit aufnehmen - die Dinge nicht so entwickeln, wie sie es erwarten. Vielleicht kann Kritik erst in dieser Phase wirksam werden. Gegenwärtig kann ich nur sagen, dass ich ziemlich pessimistisch bin. Die Amerikaner an der Spitze scheinen absolut keine Vorstellung von internationaler Zusammenarbeit zu besitzen; da sie die größten Partner sind, glauben sie, das Recht zu haben, in jedem einzelnen Punkt den Ton angeben zu können. Wenn sie die Melodie kennen würden, wäre das ja nicht so schlimm; aber unglücklicherweise kennen sie sie nicht.“
Bald darauf starben sowohl Keynes als auch White an Herzversagen;
Keynes möglicherweise an gebrochenem Herzen: „ Als bei der ersten Nachfolgekonferenz 1946 klar wurde, dass die Amerikaner darauf beharrten, den Dollar dem Gold gleichzusetzen, war Keynes so enttäuscht, dass er auf der Rückfahrt im Zug einen Herzinfarkt erlitt und wenige Wochen später in London verstarb“
(so http://www.zeitpunkt.ch/news/artikel-einzelansicht/artikel/tabubrecher-john-maynard-keynes.html)

(Quellen:
http://weltmachtgeld.tnparty.eu/index.php/USA_1942%E2%80%9346:_Durchsetzung_per_Konferenz_statt_despotischem_Dekret
      (nicht mehr online am 23oct2018)
      sowie ähnlich (beide noch online am 23oct2018)
http://blog.tagesanzeiger.ch/nevermindthemarkets/index.php/35430/die-ueberraschende-gruendungsgeschichte-des-iwf/       und
http://www.zeitpunkt.ch/news/artikel-einzelansicht/artikel/bretton-woods-der-jahrhundertbetrug.html
      siehe auch
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/international/642216_Wie-der-Dollar-statt-Keynes-Utopie-Bancor-Leitwaehrung-wurde.html
  Alle Artikel beziehen sich (vermutlich) (auch) auf das Buch: Benn Steil; The Battle of Bretton Woods: John Maynard Keynes, Harry Dexter White, and the Making of a New World Order; Council on Foreign Relations Books - Princeton University Press 2014; besprochen (zB?) hier: https://www.misesde.org/?p=13364)

Zum Ende von Bretton Woods

Nachdem bereits zwei Jahre zuvor MPS-Ökonomen [MPS = Mont Pèlerin Society] und vor allem Friedman als enge Berater in der Nixon-Administration den US-Präsidenten zur Aufgabe des Goldstandards bewegen konnten, war das Ende von Bretton Woods mit dem Ausstieg Deutschlands aus dem System fester Wechselkurse endgültig besiegelt. Als am 19. März 1973 das Floaten der D-Mark und der meisen anderen Währungen gegenüber dem Dollar begann, wurde es offiziell außer Kraft gesetzt.
Balogh wies darauf hin, dass es vor allem “ der vorsätzliche Missbrauch als Leit- und Interventionswährung des internationalen Währungssystems” war, dewr den Wert des Dollars sinken ließ. “ Es war die Folge eines militärischen und unternehmerischen Größenwahns.” Balogh, Thomas: Internationale Wirtschaftsbeziehungen - Theorie und Wirklichkeit, Frankfurt 1975, 68f
(Sebastian Müller - Der Anbruch des Neoliberalismus, 2016, Promedia, Wien, p92 Fn262)




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